Gefaehrliche Gefuehle
oder dass zwischen uns alles in Ordnung kam. Ich zögerte auf dem Treppenabsatz des zweiten Stocks, aber er lief mir nicht hinterher, sondern schloss oben die Tür. Blöde Violetta! Noch blöderer Enzo! Wieso ließ er sich von der um den Finger wickeln? Ausgerechnet von ihr? Neben ihr fühlte ich mich so … jung. Und unerfahren. Was ich ja auch war. Mist. Ich musste mir dringend was überlegen, wie ich mit der fertig wurde. Aber nicht jetzt. Jetzt hatte ich andere Dinge zu erledigen. Es war 14 Uhr 30. Noch zweieinhalb Stunden bis zur Taschenübergabe. Und noch eine halbe Stunde bis zu meinem Termin im Krankenhaus. Ja, ich musste meine Wettschulden einlösen. Silvy, die alte Kackbratze, hatte es mal wieder geschafft.
Als ich vergangenen Samstag von meinem Zusammentreffen mit Philipp zu unserem Krankenhausinfostand zurückgekommen war, hatten die drei guten Feen mich auf eigentümlich triumphierende Weise angesehen.
»Was ist?«, fragte ich.
»Gleich kommen meine Mutter und der Pressefotograf«, verkündete Silvy, »dann werden wir sehen, wer gewonnen hat.«
»Gut«, sagte ich und holte meinen Zylinder aus seinem Versteck. Als Frau Dr. Karin Kern eintraf, im Schlepptau die Typen von der Zeitung, baute sich Silvy wichtig hinter dem Infostand auf und überreichte feierlich einen silbernen Beutel mit ihrer Spendensammlung. Ich gab ihr den Zylinder. Silvys Mutter lächelte und sagte: »Ich denke, ihr habt beide für euer Engagement die Auszeichnung Das Goldene Herz verdient, aber dennoch wollen wir mal sehen, wer welche Summe für unser Krankenhaus gesammelt hat.« Sie zählte erst Silvys. Es waren 1300 Euro. Ha!, dachte ich befriedigt und warf Silvy einen belustigten Blick zu. Das würde ein Spaß werden, wenn sie Lukas …
»Und Natascha hat 1150 Euro gesammelt«, stellte Karin Kern frohlockend nach Auszählung meines Hutinhalts fest.
»Was?«, fragte ich erstaunt. »Das kann nicht sein! Es war doch …«
Silvy sah mich mitleidig an. Und da raffte ich es. Sie hatte mich beklaut, während ich bei Philipp gewesen war. Verdammt! Ich war ja so blöde! Ich hätte mir doch denken können, dass sie vor nichts zurückschreckt, um zu gewinnen! Der Fotograf knipste. Ein Reporter schrieb eifrig mit. Mein Vater nickte mir stolz zu. Und da wurde mir klar, dass ich verloren hatte. Wenn ich jetzt anfing, Silvy des Diebstahls zu beschuldigen, würde ich dastehen wie eine gemeine Ziege, die sich vor ihrem Dienst im Kinderkrankenhaus drücken wollte. Bei einer Gutmenschenaktion konnte man sich nicht wie ein schlechter Verlierer benehmen! Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu lächeln und meine angefangenen Satz umzubiegen in: »Es war doch gar nicht so viel, hatte ich gedacht!«
»Das ist wirklich eine stolze Summe«, rief Silvys Mutter, »die samt und sonders unseren kleinen Patienten zugutekommt.«
Die Gäste im Golfclub applaudierten. Silvy gab ein Interview, in dem sie dem Reporter haarklein erzählte, was sie sich alles ausgedacht hatte, um den Kindern im Krankenhaus zu helfen. Dabei wich ihr dämliches Grinsen nicht einmal aus ihrem Gesicht.
»Ich sehe dich dann am Dienstag zu deinem ersten ehrenamtlichen Dienst«, zischte sie mir danach zu. »Und keine Sorge! Ich als Organisatorin des Feendienstes werde dich da einsetzen, wo du am dringendsten gebraucht wirst.« Sie lächelte fies.
»Das denke ich mir«, sagte ich. Es war mir schon klar, dass mein Engagement unter diesen Umständen kein Zuckerschlecken werden würde. Sie würde mich zum Latrinendienst abkommandieren, wenn das möglich wäre. Aber ich würde es aushalten, mir keine Blöße geben und ihr keine Genugtuung verschaffen. Das hatte ich mir am Samstag geschworen.
Und jetzt stand ich hier im Krankenhaus und war sogar richtig gespannt, was die liebe Silvy sich für Gemeinheiten für mich ausgedacht hatte.
»Natascha«, hörte ich Justus’ Mutter hinter mir. »Was machst du denn hier?«
»Ach, hi Nicole«, begrüßte ich sie. »Ich absolviere heute meinen ehrenamtlichen Dienst.«
»Oh toll«, sagte Nicole und musterte mich neugierig. »Und wie geht es sonst? Schade, dass du länger nicht mehr bei uns warst.«
»Ja«, sagte ich ausweichend. »Hab viel zu tun. Wie geht es Justus denn?«
»Gut, denke ich. Du kennst ihn ja, er ist nicht gerade gesprächig, wenn es um seine Angelegenheiten geht.« Sie schaute auf die Uhr. »Ich muss weiter, Natascha. Besuch uns bald mal wieder.«
»Äh, Nicole?«
»Ja.« Sie blieb stehen.
Ich war etwas verlegen. Aber
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