Gefaehrliche Gefuehle
erpressen zu lassen. Die Mutter seufzte. Ihre Stimme klang brüchig. »Ja, das verstehe ich. Aber wissen Sie, es ist das erste Mal seit … seit das passiert ist, dass sie nach jemandem gefragt hat. Sie will sonst niemanden sehen. Auch mich nicht.« Sie fing an zu weinen. »Ich würde es Ihnen auch bezahlen.«
»Darum geht es nicht«, sagte ich. Ich seufzte. »Also gut. Ich komme.«
»Danke«, schluchzte sie und es kam so tief aus ihrem Herzen, dass ich eine Ahnung davon bekam, wie verzweifelt sie war.
»Wir fahren noch mal zum Krankenhaus«, sagte ich zu Hedi. Ich versuchte, Enzo anzurufen, aber er ging nicht dran. Als der Piepston für die Mailbox ertönte, hatte ich plötzlich Angst, dass ich irgendeinen Unsinn labern würde, und legte auf. Ich würde es später noch einmal probieren.
23
A ls ich im Zimmer 2.3 des Krankenhauses ankam, war von Wiedersehensfreude bei Rebecca keine Spur. Feindselig starrte sie den Arzt an, der mit zwei anderen Weißkitteln an ihrem Bett stand. Martina Terbrüggen drückte sich an der rechten Zimmerseite herum. Als sie mich sah, leuchtete ihr schmales Gesicht auf und es war mir fast peinlich, wie froh sie über mein Kommen war. Vielleicht hätte sie sich nicht so gefreut, wenn ich ihr erzählt hätte, wie das letzte Treffen zwischen Rebecca und mir verlaufen war.
»Soll ich draußen warten?«, fragte ich angesichts der Visite.
Martina Terbrüggen schüttelte den Kopf und auch der Arzt sagte: »Nicht nötig. Sind gleich weg. Also, Rebecca, die Wunde verheilt wirklich gut. Die Schmerzen haben wir jetzt auch im Griff. Aber du musst dich mehr bewegen und Krankengymnastik machen. Wir haben hier ausgezeichnete Physiotherapeuten. Nur lass sie ihre Arbeit tun. Du willst doch bald hier wieder raus.«
Rebecca drehte den Kopf zur Seite und schaute aus dem Fenster. Der Arzt seufzte. Die Mutter sagte: »Wir machen das, Dr. Klinger. Nicht wahr, Becky?« Ihr Ton war flehend.
Rebecca antwortete nicht.
Dr. Klinger wandte sich an die Mutter. »Kommen Sie noch mal kurz mit nach draußen, bitte?«
Martina Terbrüggen nickte, aber Rebecca sagte mit schneidender Stimme: »Ihr könnt ruhig hier über mich ablästern.«
»Niemand lästert über dich«, sagte Frau Terbrüggen müde.
»Ich denke, wir kommen nicht drum herum, einen Psychologen hinzuzuziehen«, sagte Dr. Klinger zu Rebeccas Mutter. Martina Terbrüggen nickte ergeben.
»Oh toll«, mischte sich Rebecca ein. »Der Psychodoktor kann mir bestimmt ein neues Bein zaubern.«
»Sie muss in die Reha«, bekräftigte Dr. Klinger. »Je früher sie mit dem Prothesengebrauchstraining anfängt, umso besser.«
»Phhh. Das hättet ihr wohl gerne«, sagte Rebecca.
»Tschüss, Rebecca. Bis morgen«, sagte Dr. Klinger und zog mit seinen beiden jungen Kollegen ab.
»Schau mal, Becky, wer da ist!«, sagte Frau Terbrüggen verkrampft fröhlich. »Natascha ist extra wegen dir gekommen.«
»Hi Rebecca«, sagte ich. Aber Rebecca war zu sehr damit beschäftigt, auf alle Welt sauer zu sein, und antwortete nicht.
»Ich geh dann mal«, seufzte ihre Mutter, nahm ihren Mantel und schlich mit gebeugten Schultern hinaus.
»Bis später«, rief ich ihr nach. Kaum war sie draußen, klopfte es und eine verschüchterte Krankenschwester kam mit einem kleinen Paket herein.
»Hier, Rebecca, Post für dich. Und deine Haarspange«, sagte sie und huschte auf leisen Sohlen zu ihrem Bett. »Du hast sie wieder unter der Serviette auf dem Tablett liegen lassen. Wir hätten sie beinahe in den Müll geschmissen. Zum Glück habe ich sie noch gesehen. Sie ist wirklich schön.« Die Schwester legte die Spange mit der Stoffblume auf den Beistelltisch und übergab Rebecca das Päckchen, das sie im Nachtschrank verschwinden ließ. Aber nicht schnell genug, als dass ich nicht den Absender-Stempel erkennen konnte.
»Vielen Dank, Schwester Tülin.« Rebecca lächelte aufgesetzt. »Das ist wirklich sehr nett von dir«, schob sie sarkastisch hinterher. Aber Schwester Tülin bemerkte den bissigen Unterton nicht oder sie war einfach froh, dass Rebecca ihr nichts Gemeines an den Kopf warf, und sagte: »Gern geschehen. Ich bringe nachher noch den warmen Kakao, okay?«
»Sehr gerne«, sagte Rebecca honigsüß. Sobald die Tür geschlossen war, sackten ihre Mundwinkel nach unten. »Hinterhältiges Miststück.« Sie sah mich an und bellte: »Gib mir die Schokolade.« Sie lag auf ihrem Beistelltisch und sie hätte sich nur vorbeugen müssen.
»Geht das schon wieder los?«, fragte ich.
»Was
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