Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
mit einer Spur von Lippenstift. Ich setzte mich und schloß die Augen. Der Nachhall von Musik verblaßte, ließ mich allein zurück. In diese milde Dunkelheit fiel weiter lautlos der Regen.

9
    Danach sah ich Shimamoto lange Zeit nicht wieder. Abend für Abend saß ich im Robin's Nest lesend an der Theke. Alle paar Minuten hob ich die Augen von meinem Buch und sah zum Eingang hinüber, aber sie kam und kam nicht. Allmählich befürchtete ich, etwas Falsches gesagt zu haben, etwas, was ich nicht hätte sagen sollen, was sie gekränkt hatte. Jedes Wort, das wir an jenem Abend gesprochen hatten, ließ ich mir noch einmal durch den Kopf gehen, aber ich konnte nichts finden. Vielleicht war Shimamoto doch enttäuscht gewesen. Durchaus möglich. Sie war so schön, und ihr Bein war jetzt völlig in Ordnung. Was in aller Welt sollte eine Frau wie sie schon an mir finden?
    Das Jahr näherte sich seinem Ende, Weihnachten kam und ging, dann Neujahr. Mein siebenunddreißigster Geburtstag. Und auf einmal war der Januar vorüber. Ich gab es auf, auf sie zu warten, und ließ mich nur noch selten im Robin's Nest blicken. Alles dort erinnerte mich an sie, und ich hielt nur vergeblich nach ihrem Gesicht Ausschau. Ich saß an der Theke meiner anderen Bar, blätterte in Büchern und hing ziellosen Gedanken nach, völlig außerstande, mich zu konzentrieren.
    Sie hatte mir gesagt, ich sei der einzige Freund gewesen, den sie je gehabt habe. Das hatte mich glücklich gemacht und in mir die Hoffnung geweckt, wir könnten erneut Freunde werden. Es gab so vieles, worüber ich mit ihr reden, wozu ich ihre Meinung hören wollte. Wenn sie über sich nichts sagen mochte, meinetwegen. Sie nur sehen zu können, mit ihr reden zu können, wäre mir genug.
    Aber sie kam nicht. Vielleicht, überlegte ich mir, hat sie so viel zu tun, daß sie es nicht einrichten kann; doch drei Monate waren dafür zu lang. Selbst wenn sie mich nicht besuchen kommen konnte, hätte sie doch wenigstens zum Telefon greifen und mich anrufen k önnen. So kam ich zu dem Schluß, sie habe mich vergessen. Letztlich bedeutete ich ihr doch nicht soviel.
    Das schmerzte, als habe sich ein kleines Loch in meinem Herzen aufgetan. Sie hätte niemals sagen dürfen, sie komme vielleicht wieder. Versprechen - selbst so vage wie dieses - gehen einem nicht mehr aus dem Kopf.
    Anfang Februar jedoch, wieder an einem regnerischen Abend, war sie plötzlich da. Draußen fiel ein leiser, eisiger Regen. Aus irgendeinem Grund war ich früher als gewöhnlich im Robin 's Nest. Die Schirme der Gäste trugen den Duft des kalten Regens herein. Zusammen mit dem Haus-Trio würde ein Tenorsaxophonist ein paar Stücke spielen, ein ziemlich bekannter Musiker, und das Publikum tuschelte erwartungsvoll. Wie immer saß ich auf meinem Hocker am Ende des Tresens und las. Leise setzte sich Shimamoto neben mich.
    »Guten Abend«, sagte sie.
    Ich legte mein Buch hin und sah sie an. Ich traute kaum meinen Augen.
    »Ich war mir sicher, du würdest nie wiederkommen.«
    »Verzeih mir«, sagte sie. »Bist du mir böse?«
    »Ich bin nicht böse. Über so etwas ärgere ich mich nicht. Das hier ist schließlich eine Bar. Die Leute kommen, wann sie wollen, und gehen, wenn es ihnen paßt. Mein Job besteht eben darin, auf sie zu warten.«
    »Nun, jedenfalls tut es mir leid. Ich kann's dir nicht erklären, aber ich konnte einfach nicht kommen.«
    »Beschäftigt?«
    »Nein, nicht beschäftigt«, erwiderte sie ruhig. »Ich konnte einfach nicht kommen.«
    Ihr Haar war naß vom Regen. Ein paar Strähnen klebten ihr an der Stirn. Ich ließ den Kellner ein Handtuch bringen.
    »Danke«, sagte sie und rieb sich die Haare trocken. Sie holte eine Zigarette heraus und zündete sie sich mit ihrem Feuerzeug an. Ihre Finger, regenfeucht und durchgefroren, zitterten ein wenig.
    »Es nieselte nur, und ich dachte, ich würde schon ein Taxi finden, darum habe ich nur einen Regenmantel angezogen. Aber dann bin ich doch zu Fuß gegangen, und am Ende wurde ein langer Marsch daraus.«
    »Wie wär's mit etwas Heißem zu trinken?« fragte ich.
    Sie sah mir tief in die Augen und lächelte. »Danke. Ich brauche nichts.«
    Im Nu ließ mich dieses Lächeln die drei Monate vergessen.
    »Was liest du da?« Sie deutete auf mein Buch.
    Ich zeigte es ihr. Eine Geschichte des chinesisch-vietnamesischen Grenzkonflikts nach dem Vietnam-Krieg. Sie blätterte kurz darin und gab es mir zurück.
    »Liest du keine Romane mehr?«
    »Doch, aber nicht mehr so viele wie

Weitere Kostenlose Bücher