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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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früher. Bei den neuen Romanen kenne ich mich nicht aus. Ich mag nur alte, vor allem aus dem neunzehnten Jahrhundert. Solche, die ich schon gelesen habe.«
    »Was hast du gegen neue Romane?«
    »Wahrscheinlich habe ich Angst, enttäuscht zu werden. Wenn ich schlechte Romane lese, habe ich das Gefühl, meine Zeit zu verplempern. Früher hatte ich jede Menge Zeit, und selbst wenn ich wußte, daß es Schund war, was ich las, hatte ich doch das Gefühl, irgend etwas davon zu haben. Jetzt geht's mir anders. Muß mit dem Älterwerden zusammenhängen.«
    »Nun ja, sicher, älter wirst du schon«, sagte sie mit einem lausbübischen Lächeln.
    »Und wie ist es mit dir? Liest du noch immer viel?« fragte ich. »Ja, ständig. Neue Bücher, alte Bücher. Romane und alles
    übrige auch. Schundbücher, gute Bücher. Ich bin wahr- scheinlich das genaue Gegenteil von dir - mich stört es nicht zu lesen, nur um die Zeit totzuschlagen.«
    Sie bat den Barkeeper, ihr ein Robin's Nest zu mixen. Ich bestellte das gleiche. Sie nahm ein Schlückchen von ihrem Drink, nickte leicht und stellte das Glas wieder auf den Tresen.
    »Hajime, wie kommt's, daß die Cocktails hier immer so viel besser sind als in jeder anderen Bar?«
    »Weil wir alles dafür tun«, erwiderte ich. »Ohne Aufwand kein Erfolg.«
    »Aufwand in welchem Sinn?«
    »Nimm zum Beispiel ihn«, sagte ich und zeigte auf den gutaussehenden jungen Barkeeper, der mit ernstem, konzentriertem Gesicht gerade mit einem Eisstecher einen Eisblock zerkleinerte. »Ich zahle ihm viel Geld. Wovon das übrige Personal, unter uns gesagt, nichts weiß. Der Grund für sein hohes Gehalt ist sein Talent, hervorragende Drinks zu mixen. Den Leuten ist das meist nicht klar, aber gute Cocktails erfordern Talent. Passable Drinks bringt mit ein bißchen Anstrengung jeder zustande, nach ein paar Monaten Übung schafft es jeder, ein Mixgetränk der Art zu produzieren, wie man es in den meisten Bars serviert bekommt. Aber wenn man darin die nächsthöhere Stufe erreichen will, braucht man das gewisse Etwas. Das gleiche gilt fürs Klavierspielen, für Malerei, für den Hundertmeterlauf. Jetzt nimm dagegen mich: Ich glaube, ich kann ein paar ganz schön scharfe Cocktails mixen, ich habe mich damit beschäftigt und es geübt. Aber an seine Klasse käme ich nie heran. Ich nehme exakt die gleichen Zutaten, schüttle den Shaker exakt so lange wie er, und weißt du was - es schmeckt nicht so gut wie bei ihm. Keine Ahnung, woran das liegt. Ich kann es nur Talent nennen. Es ist wie in der Kunst. Es gibt eine Grenze, über die nur bestimmte Menschen hinauskommen. Findet man also einmal jemanden mit Talent, dann ist es sehr ratsam, ihn zu verwöhnen und nie wieder gehen zu lassen. Und ihn selbstverständlich gut zu bezahlen.« Der Barkeeper war schwul, deswegen versammelten sich gelegentlich andere Schwule an der Theke. Es waren alles ruhige Leute, und es störte mich nicht. Ich hatte den jungen Barkeeper wirklich gern, und er vertraute mir und gab sein Bestes.
    »Vielleicht hast du mehr Talent zum Geschäftsmann, als es zunächst den Anschein hat«, sagte Shimamoto.
    »Ich fürchte, nein«, sagte ich. »Ich betrachte mich eigentlich nicht als Geschäftsmann. Ich besitze nur zufällig zwei kleine Bars und habe nicht vor, weitere zu eröffnen oder wesentlich mehr zu verdienen als im Augenblick. Talent in dem, was ich tue, kann man mir nicht zuschreiben. Aber weißt du, manchmal lasse ich meine Phantasie spielen und stelle mir vor, ich sei ein Gast. Wenn ich ein Gast wäre - in was für eine Art von Bar würde ich gehen, was würde ich gern essen und trinken? Wenn ich ein Junggeselle von Mitte Zwanzig wäre, in was für ein Lokal würde ich ein Mädchen ausführen? Wieviel könnte ich ausgeben? Wo würde ich wohnen, und wann spätestens müßte ich mich auf den Heimweg machen? Ich spiele alle möglichen Szenarien durch. Je mehr davon ich mir ausmalen kann, desto schärfer und detaillierter wird mein Bild von der Bar.«
    Shimamoto trug einen hellblauen Rollkragenpullover und einen marineblauen Rock. Kleine Ohrringe glitzerten an ihren Ohren. Ihr eng anliegender Pullover zeichnete deutlich ihre Brüste nach. Mit einem Mal machte mir das Atmen Mühe.
    »Sprich weiter«, sagte sie, wieder mit diesem glücklichen Lächeln.
    »Wovon?«
    »Von deiner Geschäftsphilosophie«, sagte sie. »Ich höre dir sehr gern zu, wenn du so redest.«
    Ich wurde ein bißchen rot, was mir schon seit langem nicht mehr passiert war. »Eine

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