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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Geschäftsphilosophie würde ich es nicht gerade nennen. Was ich eben beschrieben habe, tue ich eigentlich schon seit meiner Kindheit: mir alle möglichen Dinge ausdenken, meiner Phantasie freien Lauf lassen. Mir im Kopf einen imaginären Ort konstruieren und nach und nach immer mehr Details einfügen. Dies und jenes ändern, bis es mir gefällt. Wie gesagt, nach dem College war ich lange bei einem Schulbuchverlag. Die Arbeit dort war stumpfsinnig, sie ließ absolut keinen Raum für Phantasie und eigene Ideen. Sie machte mich krank. Ich ertrug es einfach nicht mehr, jeden Morgen in dieses Büro zu fahren. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, mit jedem Tag ein bißchen mehr zu schrumpfen, bis ich eines Tages ganz verschwunden wäre.«
    Ich trank einen Schluck von meinem Drink und sah mich in der Bar um. Nicht schlecht besetzt dafür, daß es regnete. Der Tenorsaxophonist packte gerade sein Instrument ein. Ich rief den Kellner zu mir und sagte, er möge dem Saxophonisten eine Flasche Whisky bringen und ihn fragen, ob er gern etwas essen würde.
    »Hier ist es ganz anders«, fuhr ich fort. »Hier muß man seine Phantasie spielen lassen, wenn man überleben will. Und man kann seine Ideen sofort in die Praxis umsetzen. Keine Konferenzen, keine Vorgesetzten. Keine Vorgaben, die man berücksichtigen, keine Richtlinien des Kultusministeriums, mit denen man sich herumschlagen müßte. Glaub mir, es ist traumhaft. Hast du jemals in einer Firma gearbeitet?«
    Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Da kannst du von Glück reden. Ich bin zum Angestellten einfach nicht geschaffen, und du fändest es auch nicht besser, glaube ich. Acht Jahre in einer Firma haben es mir bewiesen, acht vergeudete Jahre. Von Zweiundzwanzig bis Dreißig - die besten Lebensjahre überhaupt. Manchmal frage ich mich, wie ich das so lange aushalten konnte. Aber wahrscheinlich mußte ich es durchstehen, um da hingelangen zu können, wo ich jetzt bin. Jetzt liebe ich meine Arbeit. Weißt du, manchmal kommen mir meine Bars wie Phantasieorte vor, die ich mir selbst geschaffen habe, wie Luftschlösser. Ich pflanze hier ein paar Blumen, baue da einen Springbrunnen, und alles mit der größten Sorgfalt. Die Leute schauen vorbei, nehmen ein paar Drinks, hören sich die Musik an, unterhalten sich und gehen dann nach Hause. Sie sind bereit, für ein paar Drinks bis hier hinauszufahren und dann noch eine Menge Geld auszugeben - und weißt du, warum? Weil jeder das gleiche sucht: einen imaginären Ort, sein eigenes Luftschloß, und darin seinen ganz besonderen privaten Winkel.«
    Shimamoto zog eine Salem aus ihrer kleinen Handtasche. Bevor sie ihr Feuerzeug hervorholen konnte, riß ich ein Streichholz an und gab ihr Feuer. Ich genoß es, ihr Feuer zu geben und zu beobachten, wie ihre Augen sich verengten, während sie in das flackernde Flämmchen starrte.
    »Ich habe in meinem ganzen Leben nicht einen Tag gearbeitet«, sagte sie.
    »Überhaupt noch nie?«
    »Überhaupt noch nie. Nicht einmal in einem Teilzeit-Job. Arbeit ist für mich etwas völlig Fremdes, darum beneide ich dich so. Ich bin immer allein mit meinen Büchern. Und wenn ich gelegentlich überhaupt an etwas denke, dann hat es mit Geldausgeben, nicht mit Geldverdienen zu tun.« Sie streckte mir beide Arme entgegen. Am rechten trug sie zwei schmale goldene Armbänder, am linken eine teuer aussehende goldene Uhr. Sie hielt die Arme lange vor mir ausgestreckt, als biete sie die Schmuckstücke zum Kauf an. Ich nahm ihre rechte Hand in meine und starrte eine Zeitlang auf die goldenen Armbänder. Mir fiel wieder ein, wie sie mich damals bei der Hand gehalten hatte, als ich zwölf war. Ich konnte mich genau erinnern, wie es sich angefühlt hatte, wie es mich erregt hatte.
    »Wer weiß«, sagte ich, »vielleicht ist das letztlich besser - darüber nachzudenken, wie man Geld ausgeben könnte.« Ich ließ ihre Hand los und hatte das Gefühl, gleich würde ich davondriften, irgendwohin. »Wenn man sich immer nur den Kopf darüber zerbricht, wie man Geld verdienen kann, dann geht wohl ein Teil von einem verloren.«
    »Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie leer man sich fühlt, wenn man nicht imstande ist, etwas hervorzubringen.«
    »Bestimmt hast du schon mehr hervorgebracht, als dir bewußt ist.«
    »Was denn zum Beispiel?«
    »Dinge, die nicht zu sehen sind«, antwortete ich. Ich betrachtete meine Hände, die auf meinen Knien lagen.
    Sie hob ihr Glas und sah mich lange an. »Du meinst zum Beispiel

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