Gefährliche Geliebte
doch Situationen geben, in denen dieses Wort notwendig ist. In denen man einfach kein anderes verwenden kann.«
»Und wahrscheinlich ist ein Wort, dessen Gewicht sich nicht abschätzen läßt.«
»Du hast ja recht«, sagte sie, und über ihr Gesicht huschte ihr vertrautes Lächeln, eine sanfte Brise, die aus weiter Ferne heranwehte. »Entschuldige. Ich will mich nicht herausreden, aber ich konnte es wirklich nicht ändern. Andere Wörter hätte ich nicht verwenden können.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wie gesagt, das hier ist eine Bar, und du bist ein Gast. Du kannst herkommen, wann du willst. Ich bin's gewohnt. Ich rede nur so vor mich hin, achte einfach nicht drauf.« Sie rief den Barkeeper herbei und bestellte einen Cocktail. Dann musterte sie mich, fast prüfend. »Du bist ja zur Abwechslung einmal ziemlich lässig angezogen.«
»Ich war heute morgen schwimmen und habe mich nicht umgezogen. Ich bin nicht dazu gekommen«, sagte ich. »Aber eigentlich gefällt's mir. Es gibt mir das Gefühl, endlich wieder ich zu sein.«
»Du siehst jünger aus. Niemand käme drauf, daß du siebenunddreißig bist.«
»Du siehst auch nicht aus wie siebenunddreißig.«
»Aber auch nicht wie zwölf.«
»Das stimmt«, sagte ich. Ihr Cocktail kam, und sie nahm einen ersten Schluck. Und schloß sanft die Augen, als lausche sie einem fernen Ton. Nun, wo sie die Augen geschlossen hatte, nahm ich wieder die feine bogenförmige Falte gleich über ihren Lidern wahr. »Hajime, ich habe ständig an die Cocktails in deiner Bar gedacht«, sagte sie. »Ich hätte wirklich gern einen getrunken. Wo man auch hingeht, solche Drinks wie hier bekommt man nirgendwo.«
»Warst du weit fort?«
»Wie kommst du darauf?« fragte sie. »Weil du so etwas ausströmst«, sagte ich, »eine gewisse Atmosphäre. Als seist du eine Zeitlang sehr weit fort gewesen.«
Sie sah zu mir auf. Und nickte. »Hajime, ich war lange ...« Dann aber verstummte sie, als sei ihr etwas wieder eingefallen. Ich sah, daß sie nach den richtigen Worten suchte. Und sie nicht finden konnte. Sie biß sich auf die Lippe und lächelte »Wie dem auch sei, es tut mir leid. Ich hätte mich bei dir melden sollen. Aber ich wollte gewisse Dinge so belassen, wie sie sind. Konserviert, sozusagen. Entweder ich komme her, oder ich komme nicht. Wenn ich herkomme, dann bin ich da. Wenn nicht, dann ... bin ich anderswo.«
»Und dazwischen gibt es nichts?«
»Nein, kein Dazwischen«, sagte sie. »Und warum? Weil es Zwischendinge nicht gibt.«
»An einem Ort, an dem es keine Zwischendinge gibt, existiert auch kein Dazwischen«, sagte ich. »Genau.«
»Mit anderen Worten: An einem Ort, an dem es keine Hunde gibt, existieren auch keine Hundehütten.«
»Ja. Keine Hunde, keine Hundehütten«, sagte Shimamoto. Und warf mir einen kuriosen Blick zu. »Du hast schon einen merkwürdigen Humor, weißt du das?«
Das Klaviertrio spielte, wie so oft, »Star-Crossed Lovers«. Eine Weile hörten wir schweigend zu.
»Darf ich dich etwas fragen?«
»Klar«, sagte ich.
»Was hat es eigentlich auf sich mit dir und diesem Stück? Immer, wenn du hier bist, spielen sie es, scheint mir. Gehört das irgendwie zur Hausordnung?«
»Nein. Sie wissen einfach, daß ich es mag.«
»Es ist ein schönes Lied.«
Ich nickte. »Ich habe lang gebraucht, um dahinterzukommen, wie komplex es ist, daß viel mehr darin steckt als nur eine hübsche Melodie. Nur Musiker von einer besonderen Sorte können es richtig spielen«, sagte ich. »Duke Ellington und Billy Strayhorn haben es vor langer Zeit geschrieben. Siebenundfünfzig, glaube ich.«
»Was bedeutet eigentlich dieses >star-crossed«
»>Von einem Unstern verfolgt< - Liebende, die unter einem unglücklichen Stern geboren sind. Das ist eine Anspielung auf Romeo und Julia. Ellington und Strayhorn haben den Song für ein Konzert im Rahmen des Ontario Shakespeare Festivals geschrieben. In der Originalaufnahme war Johnny Hodges' Altsaxophon Julia, und Paul Gonsalves spielte den Romeo-Part auf dem Tenorsaxophon.«
»Liebende, unter einem Unstern geboren«, sagte sie. »Das klingt, als wäre es für uns geschrieben.«
»Willst du damit sagen, wir sind ein Liebespaar?«
»Findest du, wir sind keins?«
Ich sah sie an. Jetzt lächelte sie nicht mehr. Tief in ihren Au- gen konnte ich ein schwaches Glimmen ausmachen.
»Shimamoto-san, ich weiß überhaupt nichts von dir«, sagte ich. »Jedesmal, wenn ich dir in die Augen schaue, spüre ich es wieder. Ich
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