Gefährliche Geliebte
Gesicht. »Wenn dich etwas quält, sag's mir. Auch wenn's dir schwerfällt, darüber zu sprechen. Wenn ich irgend etwas für dich tun kann, brauchst du es nur zu sagen. Ich bin nur eine ganz gewöhnliche Frau, und ich weiß, daß ich sehr naiv bin, auch in geschäftlichen Dingen. Aber ich kann es nicht ertragen, dich unglücklich zu sehen. Ich will nicht diesen gequälten Ausdruck in deinem Gesicht sehen. Was ist dir an unserem Leben so zuwider? Sag es mir.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich beklage mich überhaupt nicht. Meine Arbeit macht mir Spaß, und ich liebe dich. Ich sage nur, daß ich manchmal nicht damit klarkomme, wie dein Vater die Dinge handhabt. Versteh mich nicht falsch, ich mag ihn. Ich weiß, daß er uns zu helfen versucht, und ich weiß das zu schätzen. Ich bin also nicht böse. Ich weiß nur einfach nicht mehr, wer ich eigentlich bin. Ich weiß nicht mehr, was recht und was unrecht ist. Deswegen bin ich verwirrt. Aber nicht böse.«
»Du siehst aber böse aus.«
Ich seufzte.
»Und du seufzt andauernd«, sagte sie. »Jedenfalls quält dich eindeutig etwas. Du bist innerlich ganz woanders, Lichtjahre von hier entfernt.«
»Nicht, daß ich wüßte.«
Yukiko wandte den Blick nicht von mir ab. »Du hast etwas auf dem Herzen«, sagte sie. »Aber ich habe keine Ahnung, was es ist. Ich wünschte nur, ich könnte dir auf irgendeine Weise helfen.«
Auf einmal überkam mich das heftige Bedürfnis, alles zu beichten. Was für eine Erleichterung das wäre! Kein Versteckspielen mehr, kein Theater, keine Lügen. Schau, Yukiko, es gibt eine andere Frau, die ich liebe, und ich kann sie einfach nicht vergessen. Ich habe mich zurückgehalten, hab alles getan, damit unsere Welt nicht zerbricht, aber ich kann einfach nicht mehr. Wenn sie das nächste Mal wiederkommt, schlafe ich mit ihr, egal, was dann passiert. Ich denke beim Masturbieren an sie. Ich denke an sie, während ich mit dir schlafe, Yukiko ... Aber ich sagte nichts. Eine Beichte würde nichts nützen. Sie würde uns nur noch unglücklicher machen. Nach dem Essen kehrte ich in mein Büro zurück, um weiterzuarbeiten. Aber meine Gedanken waren tatsächlich ganz woanders. Ich fühlte mich schäbig, weil ich Yukiko eine solche Moralpredigt gehalten hatte. Was ich gesagt hatte, war schon richtig. Aber der Mensch, der es gesagt hatte, war durch und durch falsch. Ich hatte Yukiko belogen, mich hinter ihrem Rücken herumgetrieben. Ich war der letzte, der den Moralapostel hätte spielen dürfen. Yukiko gab sich die allergrößte Mühe, mich zu verstehen. Das war ganz offensichtlich, und es entsprach ihrem Wesen. Aber was war mit meinem Leben? War darin die geringste Konsequenz, die geringste Überzeugung zu erkennen? Ich fühlte mich leer; ohne jeden Antrieb, mich zu bewegen.
Ich legte die Füße auf den Schreibtisch und starrte, den Bleistift in der Hand, teilnahmslos aus dem Fenster. Von meinem Büro aus sah man auf einen Park. Das Wetter war schön, und es waren einige Eltern mit ihren Kindern da. Die Kinder spielten im Sandkasten oder rutschten über die Rutschbahn, die Mütter behielten sie im Auge und plauderten miteinander. Diese spielenden Kinder erinnerten mich an meine Töchter. Ich wollte sie sehen, noch einmal mit den beiden in den Armen die Straße entlanggehen. Ich wollte die Wärme ihrer Körper spüren. Aber der Gedanke an sie führte unweigerlich zu Erinnerungen an Shimamoto, zu lebhaften Erinnerungen an ihre leicht geöffneten Lippen. Ihr Bild verdrängte die Gedanken an meine Töchter. Ich konnte an nichts anderes denken.
Ich verließ mein Büro und schlenderte die Hauptstraße von Aoyama entlang. Ich ging in den Coffee-Shop, wo Shimamoto und ich uns oft getroffen hatten, und trank einen Kaffee. Ich schlug ein Buch auf, und als ich vom Lesen genug hatte, dachte ich wieder an sie. Fetzen unserer Gespräche kamen mir wieder in den Sinn, Gesten: wie sie eine Salem aus ihrer Handtasche zog und sie sich anzündete, wie sie sich beiläufig eine Haarsträhne zurückstrich, wie sie beim Lächeln den Kopf ein wenig zur Seite neigte. Bald wurde ich es leid, da allein herumzusitzen, und ich ging weiter, in Richtung Shibuya. Früher hatte es mir immer Spaß gemacht, die Straßen der Großstadt entlangzugehen, die Gebäude und die Geschäfte zu betrachten, die vielen Menschen zu beobachten. Ich liebte das Gefühl, mich auf meinen eigenen Beinen durch die Stadt zu bewegen. Jetzt aber war die Stadt bedrückend und leer. Gebäude verwandelten sich vor
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