Gefährliche Glut
allerdings erst ganz zum Schluss. Der Anwalt berichtete, dass sich James’ Schwester und deren Mann mit ihm in Verbindung gesetzt hätten. Und zwar, um ihn vorzuwarnen, dass sie beabsichtigten, das Sorgerecht für Josh zu beantragen und dafür notfalls auch vor Gericht zu ziehen. Als Grund machten sie Bedenken geltend, dass Julie als Alleinerziehende nicht in der Lage sei, Josh dieselbe emotionale Aufmerksamkeit und finanzielle Sicherheit zukommen zu lassen wie sie selbst das in ihrer komfortablen Lage konnten.
Der Anwalt gab gegenüber Julie zu bedenken, dass sich dieses Argument vor Gericht nur sehr schwer würde entkräften lassen. Am Ende legte er ihr nahe, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, bei wem Josh auf lange Sicht am besten aufgehoben wäre.
Im Klartext: Sogar ihr eigener Anwalt war der Meinung, dass sie auf das Sorgerecht für Josh verzichten sollte.
„Nein!“ Das Handy rutschte ihr aus der Hand und fiel geräuschvoll zu Boden. Julie schlug sich die Hände vors Gesicht und sank auf die Treppe.
Rocco, der sie beobachtet hatte, erschrak. Eilig lief er zu ihr und hob das Handy auf. Da Julie auf seine Nachfragen nicht reagierte, beschloss er kurzerhand, die Nachricht einfach selbst abzuhören.
Julie rappelte sich mühsam auf. Ihr Magen rebellierte, und ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Großer Gott, was sollte sie jetzt bloß tun?
„Ich begreife das nicht“, stieß sie tonlos hervor. „Dabei kann Annette Kinder nicht ausstehen, das weiß ich genau. Anders als ihr Mann wollte sie nie eigene Kinder. Bei der Trauerfeier hatte sie Angst um ihren teuren Kaschmirmantel und hat von mir verlangt, dass ich mich mit Josh von ihr fern halte. Sie darf Josh nicht bekommen! Das wäre eine Katastrophe für ihn. Sie würde ihn niemals lieben.“
Sie wirkte so aufgelöst und verzweifelt, dass sich Roccos Beschützerinstinkt regte. Er musste ihr helfen, aber wie? Und war er dazu überhaupt in der Lage? Er überlegte fieberhaft, und so dauerte es nicht lange, bis in seinem Kopf eine Idee Gestalt annahm. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie schlimm es für ein Kind war, ohne Liebe aufzuwachsen. Dass Josh an Julie wie an einer leiblichen Mutter hing und Julie den Kleinen von ganzem Herzen liebte, stand für ihn unverrückbar fest. Aber vor Gericht zählten keine Gefühle, sondern Tatsachen. Und wenn es dieses gut situierte Ehepaar wirklich darauf angelegt hatte, Josh zu bekommen, würde Julie voraussehbar die schlechteren Karten haben, so viel stand fest. Es sei denn … es sei denn …
An dieser Stelle wuchs Rocco über sich selbst hinaus.
„Es gibt eine Lösung“, verkündete er fest.
„Es gibt eine Lösung?“, wiederholte Julie überrascht. „Was denn für eine?“
„Wir heiraten.“
11. KAPITEL
„Wir heiraten?“, fragte Julie völlig fassungslos.
„Ja.“ Rocco nickte nachdrücklich und fuhr sachlich fort: „Wenn wir verheiratet sind, wird kein Mensch je auf die Idee kommen, dir Josh wegzunehmen. Deshalb heiraten wir.“
„Was? Aber das ist … das ist völlig unmöglich. Nein, das kann ich nicht.“
Rocco runzelte die Stirn. Durch ihre Zurückweisung fühlte er sich in seinem Stolz verletzt.
„Warum nicht?“
Weil du mich nicht liebst, wäre die aufrichtige Antwort gewesen, aber damit hätte sie sich verraten, und das wollte sie auf keinen Fall.
„Weil es keinen Sinn macht“, erwiderte sie deshalb nur vage.
„Aber natürlich macht es Sinn … sehr viel Sinn sogar“, konterte Rocco. „Hör zu, ich habe am eigenen Leib erfahren, was fehlende Mutterliebe im Leben eines Kindes anrichten kann. Ich möchte euch helfen, weil ich weiß, dass ihr zusammengehört. Und ich weiß auch, dass ich es in der Hand habe, dafür zu sorgen, dass es Josh nicht so ergeht, wie es mir als Kind ergangen ist …“
„Aber deshalb können wir doch nicht gleich heiraten! Warum solltest du das tun? Josh bedeutet dir nichts, er ist für dich ein Fremder.“
„Das sehe ich völlig anders. Da ihr unter meinem Dach lebt, fühle ich mich für euch verantwortlich. Diese Verantwortung ist ein Gebot der Gastfreundschaft und ungeschriebenes Gesetz bei den Leopardis. Niemand kann sie mir abnehmen, sie liegt mir im Blut, und ich habe keine andere Wahl, als sie wahrzunehmen.“
„Das … das ist eine sehr altmodische Sichtweise. Jeder erwachsene Mensch ist für sich selbst verantwortlich …“, begann Julie, doch Rocco fiel ihr ins Wort.
„Aber davon, dass du Josh gegenüber eine Verantwortung
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