Gefährliche Ideen
festgefügten Vorstellungen von Legitimität beschränken zu lassen. Denn so seltsam dies auch klingen mag: Man kann sehr viel kreativer werden, wenn man nur ein klein wenig mehr Ekel zulässt.
Kapitel 8
Obszönes Denken – juhu!
Guter Geschmack – und nur dieser – vermag es, eine sterilisierende Wirkung zu entfalten, und ist stets das wichtigste Hindernis auf dem Weg zu kreativer Tätigkeit.
Salvador Dalí
Der kreative Prozess ist ein Gebräu aus Instinkt, Kunstfertigkeit, Kultur und einer hoch kreativen Fieberhaftigkeit. Er lässt sich nicht mit einer Droge vergleichen, sondern ist ein ganz besonderer Zustand, der sich dadurch auszeichnet, dass alles sehr schnell geschieht; eine Mischung aus Bewusstheit und Unbewusstheit, aus Furcht und Freude; er erinnert ein wenig an den physischen Liebesakt.
Francis Bacon
[Bild vergrößern]
Auf meinem Laptop habe ich ein Foto, das meine Vorstellungen von Kreativität so gut beschreibt, dass ich es in meinen Vorträgen zu diesem Thema immer wieder gern verwende. Es zeigt etwas sehr Banales, nämlich ein Haarfärbemittel, dessen einzige ungewöhnliche Eigenschaft darin besteht, dass es rosafarben ist. Nun gut, vielleicht besitzt es noch eine weitere solche Eigenschaft, denn das Färbemittel wurde speziell für Schamhaare entwickelt. Ja, Sie haben richtig gelesen: Wenn Sie Ihre Scham in ein liebliches Rosa kleiden möchten, ist das heute problemlos möglich! Eine vorausblickende Unternehmerin namens Nancy Jarecki erkannte, dass etliche Frauen (und sehr wahrscheinlichauch einige Männer) ihre Schamhaare färben und womöglich darin interessiert wären, diese Tönung farblich auf die Bettlaken abzustimmen. Herkömmliche Farbstoffe verwenden allerdings Chemikalien, die für den empfindlichen Schambereich zu stark sind, daher entwickelte Nancy eine Serie namens
Betty
. Die rosafarbene Tönung, von der ich ein Foto besitze, trägt den Namen
Fun Betty
.
Ich verwende dieses Foto nicht etwa aufgrund eines gesteigerten Interesses an Schamhaaren, sondern aufgrund der Resonanz, die ich regelmäßig erhalte. Normalerweise schauen mich die Zuhörer zunächst leicht irritiert an, werden dann ein klein wenig unsicher und beginnen schließlich nervös zu kichern. Seltsamerweise erscheint es ungewöhnlich, dass ein Managementprofessor über Schamhaare spricht und auch noch Bilder davon zeigt – oder, um es präziser auszudrücken, eine Produktpackung vorstellt, die ganz schüchtern ein gefärbtes Dreieck abbildet, das sich irgendwo in der Schamregion eines stilisierten Frauenkörpers befindet.
In ähnlicher Weise, wie in meinem früheren Beispiel die Süßigkeit in Form von Ohrenschmalz leichte Ekelgefühle hervorrief, löst das Bild von rosafarbenem Schamhaar beim Publikum oft einen milden Schockeffekt aus. Dieser rührt daher, dass das Gehirn auf eine beinahe physisch wahrnehmbare Art versucht, eine anstößige Idee zurückzuweisen. Das Gehirn weiß genau, dass Sex oder damit nahe verwandte Dinge nicht öffentlich verhandelt werden sollten, insbesondere nicht, wenn es gerade um so ernsthafte Themen wie Kreativität geht (und wenn man bedenkt, wer sich so alles in der Kreativitätsszene tummelt, erscheint mir das auch als völlig natürlich – ich möchte mir diese Leute lieber auch nicht beim Sex vorstellen). Das Gehirn weiß, dass Sex obszön, eine Sünde und zudem regelrecht schmutzig ist. Vor allem, wenn er gut ist.
In derselben Weise, wie das Gehirn sich gegen Vorstellungen wehrt, die es als ekelhaft empfindet, meidet es Dinge, die ihm unanständig und schmutzig erscheinen. All diese Dinge bleiben außerhalb der geheimen Schubladen, die unser Denken kontrollieren und einschränken und die nicht versetzt werden können, ohne unsere Anstandsregeln anzugreifen, die uns unbewusst an bestimmte Denkmuster fesseln. Dabei unterscheidet sich das Schmutzige vom Ekelhaften, denn während Letzteres sich auf die Frage bezieht, wovon man abgestoßen wird, geht es bei Ersterem darum, was als anstößig gilt. Wenn wir etwas als obszön und unanständig bezeichnen, dann sagen wir damit, dass diese Dinge nicht öffentlich diskutiert werden sollten, jedenfalls nicht in guter Gesellschaft. Das Ekelhafte richtet sich gegen die guten Sitten, doch das Obszöne bricht mit weitaus fundamentaleren Tabus. Zum Glück sollte Kreativität gerade von Tabubrüchen handeln.
Ein weiterer Glücksfall liegt darin, dass zwischen Kreativität und Sex eine weitaus tiefere Verbindung besteht. Sex ist
Weitere Kostenlose Bücher