Gefährliche Ideen
Kleidung aus, und die Dschungelbewohner Borneos verbringen erstaunlich viel Zeit damit, ihre Häuser zu verzieren und kunstvolle Ritualgegenstände herzustellen. Wir Bürger westlicher Staaten geben ganz offenkundig deutlich mehr aus, aber das Prinzip ist dasselbe. Selbst die wirklich mittellosen und hungrigen Menschen weltweit leiden mehr unter wirtschaftlicher Ungleichheit und politischem Stillstand als unter der übertriebenen Vorstellung, dass Frivolität auf der einen Seite der Erdkugel zu Entbehrungen auf der anderen führe. Obwohl es sicherlich Grenzen gibt (insbesondere ökologischer Art), stellt frivoler Konsum für sich allein genommen kein größeres Problem für eine Volkswirtschaft oderGesellschaft dar. Womöglich bildet er sogar eine notwendige Voraussetzung für Wohlstand – und genau dies meinte Georges Bataille natürlich mit seinem Konzept der allgemeinen Wirtschaft.
Wenn wir unseren Konsum einmal genauer unter die Lupe nehmen, so stellen wir fest, dass die lebensnotwendigen Güter nur einen sehr kleinen Teilbereich ausmachen. Unsere Kleidung ist viel zu modisch und elegant, um als Grundbedarf durchzugehen; unsere Speisen sind viel raffinierter, als es zum Überleben erforderlich wäre; und fast unser gesamter Kultur- und Medienkonsum ist unter Bedarfsgesichtspunkten eine einzige große Verschwendung. Viele schließen daraus, dass der westliche Lebensstil nicht nachhaltig sei, doch es scheint mir, als läge hier ein Missverständnis vor. Vielleicht müssen wir erkennen, dass unsere fortgeschrittene Wirtschaftsform mehr als eine Maschine ist, die unser Überleben garantiert und unsere oft frivolen Ausgaben ermöglicht. Wenn die Menschheit an einem Wirtschaftsmodell festgehalten hätte, das nur lebensnotwendige Güter zuließe, würde sie heute vielleicht nur aus 100 000 Menschen bestehen, die überwiegend in warmen Küstengebieten lebten, sich ein wenig mit der Nahrungssuche beschäftigten und den Rest ihrer Zeit im geselligen Gespräch (oder mit Sex) verbrächten.
Manch einer mag dies als idyllischen Idealzustand betrachten, doch es entspricht nicht der Welt, in der wir leben. Stattdessen bewegen wir uns in einer Wirtschaft, die auf Wachstum fußt, wobei sie immer neue Frivolitäten hervorbringt und dazu noch jede Menge Positives. Natürlich will der eingeschlagene Wachstumspfad gut durchdacht sein, doch die Vorstellung, dass wir uns irgendwie von unserer Frivolität befreien könnten, gleicht dem Wunsch, die Weltbevölkerung um einige Milliarden Menschen zu reduzieren und in die Steinzeit zurückzukehren. Mindestens seit dem Bronzezeitalter beschäftigen sich Menschen mit der Erschaffung und dem Konsum von Überflüssigem – Schmuck, Ornamente,Spielzeug und Beinkämme. Doch gleichzeitig haben wir ein erstaunliches Talent dafür entwickelt, unsere Vorliebe für Konsumgüter zu verleugnen und – noch erstaunlicher – uns einzureden, dass all diese Dinge lebensnotwendige Güter seien.
Die Handy-Manie
Machen wir einen kleinen Zeitsprung in die Gegenwart. Heute glauben die allermeisten Menschen, dass es ohne Handy nicht geht. Ein Leben ohne dieses kleine Gerät erscheint unendlich schwierig. Doch unsere Eltern sind ganz prima ohne ausgekommen, und so seltsam es auch klingen mag: Die Menschheit hat mehrere Jahrtausende ohne Zugang zu Mobiltelefonen überstanden und weitere hundert Jahre, in denen es nur Festnetzleitungen gab. Dennoch fällt es uns heute zunehmend schwer, uns eine handylose Welt vorzustellen, und so kommt es, dass im Zusammenhang mit Handys oft Worte wie »brauchen« oder »unverzichtbar« fallen. Wieder einmal spielt unser Gehirn seine altbekannten Tricks aus, doch diesmal versucht es uns weiszumachen, dass wir viel ernsthafter und erwachsener handeln, als es der Wirklichkeit entspricht.
Gut und schön, aber was hat das alles mit Kreativität zu tun? Mehr als Sie vielleicht glauben. Der Erwachsene in uns versucht uns davon zu überzeugen, dass unser Verhalten sich stets als Ergebnis erwachsener Entscheidungsfindung erklären lässt. Leider ist es derselbe Teil unserer Persönlichkeit, der uns bei der Entwicklung neuer Ideen einschränkt. Ein hervorragendes Beispiel ist das von Innovationsberatern heiß geliebte Konzept der »Bedürfnisse«. Im Gespräch mit Unternehmensentwicklern oder Kreativitätsberatern, die Firmen bei der Ideenentwicklung unterstützen, ist immer wieder zu hören, dass man bislang unbefriedigte Bedürfnisse bei den Verbrauchern entdecken und
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