Gefährliche Ideen
Organisation ist also ein Prozess, der verlangt, dass man ein Gleichgewicht zwischen zwei unterschiedlichen Führungsstilen findet. Auf der einen Seite gilt es, den Freiraum und die Sicherheit herzustellen, die es der Kreativität ermöglichen, sich zu entfalten. Viel schwierigerist jedoch oft die andere Funktion, bei der es darum geht, den Kreativprozess zu unterbrechen, um Ideen umzusetzen. Dies liegt teilweise daran, dass kreativitätsgetriebene Unternehmen sich rasch an eine weniger straffe Führung, die eher im Hintergrund agiert, gewöhnen. Die zentrale Herausforderung für Führungskräfte besteht in der Schwierigkeit, das Unternehmen dazu zu bringen, zwischen Phasen freier Kreativität und solchen, in denen Produktion und Effizienz im Vordergrund stehen, hin und her zu wechseln und zwar in einer Weise, dass die Mitarbeiter sich dabei wohlfühlen.
Im Idealfall besteht eine Organisation oder ein Unternehmen aus lauter Menschen, die hart an ihrer gedanklichen Weiterentwicklung arbeiten, während es gleichzeitig den Spagat schafft, reibungslos zwischen Phasen der Ideenfindung und solchen der Durchführung zu wechseln. Doch in der Realität verläuft es nur selten so glatt. Wir neigen dazu, uns beständig auf ein und demselben Gleis zu bewegen, und da die meisten Organisationen von Natur aus darauf ausgerichtet sind, in einer chaotischen Welt einen Hort der Stabilität und Ordnung zu bilden, wählen sie in der Regel das weniger kreative Gleis. Dies kann sich als Problem erweisen, an dem die Unternehmensleitung arbeiten muss. Doch wer stets nur das Mantra »Mehr Kreativität ist immer gut« wiederholt, kommt nicht sehr weit. Eine viel ehrlichere Sichtweise auf Kreativität im Unternehmen akzeptiert, dass es auch profanere Tätigkeiten geben muss und dass die Führungskräfte dies berücksichtigen sollten. Es ist leicht gesagt, dass Kreativität etwas Tolles ist –
mit der kreativen Organisation zu leben ist weitaus schwieriger
.
Kapitel 13
Nehmen Sie sich nicht so wichtig
Es gibt im Wesentlichen zwei Sorten von Menschen: solche,
die etwas tun, und solche, die den Ruhm beanspruchen.
In der ersten Gruppe gibt es weniger Konkurrenz.
Mark Twain
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Okay, schon kapiert. Sie denken, Sie seien wichtig. Ich verstehe. Ich halte mich auch für wichtig. Das Problem ist, dass wir beide schief gewickelt sind – jedenfalls was den Glauben anbelangt, dass unsere eigenen, individuellen, einzigartigen Gedanken in der heutigen Kreativwirtschaft eine Rolle spielen. Die Vorstellung individueller Genialität, sprich des einsamen Schöpfers, war in der westlichen Gesellschaft lange Zeit nahezu ein Fetisch, denn in unserer Kultur glaubt man tatsächlich an das romantische Ideal der kreativen Seele. Es gehörte zum Weltbild von romantischen Dichtern und Denkern wie Goethe, Lord Byron und Percy Bysshe Shelley, Schöpfer als großartige Individuen anzusehen, die von einem inneren Feuer getrieben sind. Diese Auffassung setzte sich mit der Zeit auch bei Wissenschaftlern und Verwaltern jeglicher Couleur durch. Da wir kulturgebundene Gewohnheitstiere sind, hat sie bis heute überlebt, und noch immer möchten wir glauben, dass Kreativität nur bei einzelnen Individuen anzutreffen sei. Doch die Zeiten haben sich geändert, und zwar auf eine Weise, dass sich dieser Glaube kaum noch aufrechterhalten lässt, zumal er kreativer Aktivität womöglich sogar schadet.
Kreativität ist heute nicht länger die alleinige Domäne jener mythischen Figur, des »kreativen Individuums«. Vielmehr leben wir heute in einer zunehmend komplexen Welt, in der Kreativität aus Netzwerken erwachsen kann, in Teams, über Twitter oder in Gruppen von Spezialisten entsteht, von unseren Kunden en gros geliefert oder vom gemeinen Pöbel ausgeheckt wird. In den letzten fünfzehn Jahren hat sich in der Unternehmenswelt die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kreativität ein Akt kollektiver Wertschöpfung ist und nicht unbedingt auf individuelle Anstrengungen zurückgeht. Mit anderen Worten richtet sich der Blick nun darauf, dass
Kreativität nicht in einem einzigen Kopf geboren wird, sondern im Zusammenspiel von Köpfen entsteht
.
Ich bestreite keineswegs, dass ein Phänomen namens individuelle Kreativität existiert, doch in den meisten Fällen entstehen gute Ideen durch verschiedene Arten von Zusammenarbeit. Geschichtlich betrachtet gibt es natürlich zahlreiche Fälle, in denen ein Erfinder oder Schöpfer überwiegend allein handelte, doch weitaus
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