Gefährliche Ideen
konnten. Gleichzeitig musste sie erkunden, wie die Gruppenmitglieder ihr individuelles Denken überwinden und einander einer verteilten Kritik unterziehen konnten. Dieser Begriff meint eine Kritik, die nicht von einem Individuum zum anderen fließt, sondern vielmehr die kollektiven und vereinten Annahmen der Gruppe infrage stellt und es ihren Mitgliedern ermöglicht, voneinander Nutzen zu ziehen. Dieser Ansatz sollte immer wieder für Überraschungen im Diskussionsprozess sorgen und sich nicht an individuellen Kompetenzen festbeißen. In einer solchen Situation muss die Führungskraft dafür sorgen, dass die Diskussion stets offen verläuft, damit die Gruppe neue Horizonte erreichen kann und zu Lösungen gelangt, welche die einzelnen Mitglieder niemals gefunden hätten.
Dies verlangt von den Teammitgliedern eine hohe Bereitschaft zu akzeptieren, dass die Gruppe mehr ist als die Summe ihrer Teile. Daraus entsteht das, was Keith Sawyer in seinem gleichnamigen Buch als
Group Genius
(Genialität der Gruppe) bezeichnet hat, ein Phänomen, das in vielerlei Formen auftritt. Sawyer hat immer wieder betont, dass Kreativität überwiegend in Teams entstehe, und es spricht einiges dafür, dass er Recht hat. Doch obwohl das kreative Team ein typisches Beispiel für gemeinschaftlich entwickelte Kreativität ist, gibt es viele interessante Variationen.
Seien Sie kein Kontrollfreak
Einer der Hauptgründe dafür, dass wir uns so stark auf individuelle Kreativität konzentrieren, ist die herkömmliche Vorstellung, dass ein seriöser Mensch oder sein Unternehmen den Kreativprozess kontrollieren muss. Dies erklärt sehr wahrscheinlich, warum die einfachste Methode, die Kreativität in Organisationen oder Unternehmen jeder Art zu erhöhen, so selten praktiziert wird:
mehr auf jene Menschen zu hören, denen man die Kontrolle
nicht überlassen möchte
. Jeder kennt das: Man entdeckt in einem Unternehmen etwas, von dem man glaubt, dass es verbessert, effizienter gemacht oder radikal geändert werden sollte, kann aber selbst herzlich wenig dazu beitragen. Dies wirft die Frage auf: »Warum nehmen so wenige Unternehmen gerne Hinweise von außen an?« Seit einigen Jahren zeigen viele Konzerne ein großes Bedürfnis, von ihren Kunden zu lernen – davon zeugen solche Modewörter wie Open Innovation, Crowdsourcing und der omnipräsente Einfluss von sozialen Medien und Netzwerken. Dennoch herrscht sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Kunden großer Konzerne der Eindruck vor, dass aus all diesem Zuhören kaum etwas folgt. Man kann sich zu Recht fragen, warum das so ist.
Der Grund ist jedoch ganz einfach und mit einem wiederkehrenden Thema dieses Buches verbunden. Der Primärimpuls unseres Gehirns besteht darin, seine normalen Denkprozesse zu verteidigen, und es ist überhaupt nicht scharf darauf, diesen Kontrollmechanismus loszulassen. Wenn wir über die Entwicklung unserer Prozesse sprechen, reagiert das Gehirn instinktiv mit einer Kontrollübernahme; es möchte nicht gestört werden – alles soll bleiben wie gehabt. Auf der einen Ebene denken wir vielleicht wirklich, dass es doch toll wäre, wenn unsere Kunden Vorschläge machten, wie wir unsere Arbeitsmethoden verbessern könnten.
Doch in der Praxis hat jeder von uns mit dem angeborenen Bedürfnis zu kämpfen, den Prozess zu kontrollieren; also ignorieren wir Vorschläge von außen. Wir tun dies nicht, weil wir die Ideen für schlecht halten, sondern weil wir unterbewusst die Kontrolle behalten möchten. Auf dieser unterbewussten Ebene bedeutet die Annahme von Vorschlägen beispielsweise von Kundenseite, dass wir akzeptieren, weniger wichtig zu sein, als wir es gerne hätten. Dies aber läuft unseren tief verwurzelten kulturellenÜberzeugungen zuwider, die die Vorrangstellung des kreativen Individuums festschreiben.
Daher genügt es nicht zu sagen: »Open Innovation ist unser Weg in die Zukunft« oder »Wir lassen unsere Prozesse durch die Kunden entwickeln« und zu glauben, damit sei es getan. Um das kreative Potenzial einer Organisation zu entwickeln, ist weit mehr erforderlich: Sie müssen sich trauen, etwas zu tun, das allem widerspricht, was Sie über Unternehmensführung je gelernt haben – nämlich,
einen Kontrollverlust hinzunehmen
. Wer sich der Vorstellung öffnet, dass Kreativität auch von außen kommen kann, akzeptiert, dass er nicht mehr allein am Steuer sitzt und dass ein Unternehmen in einer zunehmend vernetzten und transparenten Welt nur dann relevant ist, wenn man
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