Gefährliche Intrigen
Ohnmächtig sank sie Pater Reiley in die Arme.
Kapitel 1
England, Grafschaft Dorset
Endlich konnte Emma ihren Tränen freien Lauf lassen. Sie war alleine. Bei ihrer letzten Rast in einem gemütlichen Gasthof hatte sie ihrer Zofe Molly erlaubt, für den Rest des Tages vorne neben Luke auf dem Kutschbock zu sitzen. Denn trotz ihrer unglaublichen Trauer war ihr nicht entgangen, welch sehnsüchtige und verliebte Blicke sich ihre Zofe und Luke zuwarfen. Luke war seit einem Jahr in den Stallungen ihres Vaters beschäftigt. Er war blond, kräftig und hatte ein freundliches Gesicht. Schon zuhause in Norwich hatte es zwischen den beiden heftig gefunkt. Nun drang ab und an Mollys glockenhelles Lachen zu ihr in die Kutsche, in der es so dunkel und erdrückend war wie in Emmas Gedanken.
Selbst für die Schönheit der Landschaft hatte Emma noch keinen einzigen Blick übrig gehabt. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um das schreckliche Unglück. Wie hatte es überhaupt dazu kommen können, dass sie sich vollkommen allein auf diese weite Reise gemacht hatte - einzig in Begleitung einer drallen Blondine aus dem Dorf.
Seit dem plötzlichen Tod ihrer Eltern, Lady Anna und Lord Robert Pears, dem Grafen von Norfolk, kam ihr alles vor, als stünde sie in dichtem Nebel - kein Laut, keine Berührung, kein Gefühl konnte in ihr Innerstes vordringen.
Emma ließ einfach alles mit sich geschehen und fügte sich den wohlwollenden Ratschlägen der Bewohner von Norwich. In der Nacht des Unglücks hatten die Leute aus dem Dorf verzweifelt versucht die Flammen zu löschen – vergeblich. Pater Reiley hatte Emma hilfsbereit bei sich aufgenommen – mütterlich umsorgt, von seiner betagten Haushälterin, der Witwe Miller. Am nächsten Morgen suchten die Helfer in den noch immer glühenden Trümmern nach Überlebenden. Doch wie schon in der Nacht befürchtet worden war, hatten alle Bewohner in den Flammen ihr Leben gelassen – alle bis auf Emma.
Darum bat der Geistliche in einem Brief den Anwalt der Familie um Hilfe. Inzwischen wurde Emma in Kleider gesteckt, die ursprünglich der Tochter von Mrs. Miller gehört hatten. Für alle anderen Bedürfnisse wurde ihr Molly an die Seite gestellt. Die hübsche Tochter des Bäckers hatte zwar keinerlei Erfahrungen als Zofe, aber sie war freundlich und bemüht, Emma abzulenken. Emma mochte sie eigentlich ganz gern.
Das Antwortschreiben des von Pater Reiley unterrichteten Anwaltes erreichte sie schon wenige Tage später.
Emmas Onkel Wilbour war als ihr Vormund bestellt worden. Sie solle sich daher direkt auf den Weg nach Salterdon, einem kleinen Küstenort in Devon, machen. Dort, bei ihren lieben Verwandten könne man dann in aller Ruhe erwägen, wie es weitergehen solle, schrieb der Anwalt weiter. Ihr Onkel Wilbour sei leider verhindert und könne sie daher nicht persönlich abholen kommen. So wurde Emma eilends, denn die Dörfler waren froh, die Verantwortung für sie abgeben zu können, in diese Kutsche verfrachtet. Der Pferdestall und somit auch die Kutsche waren zum Glück vom Feuer verschont geblieben. Emma hatte sich teilnahmslos den Anweisungen des Anwaltes gefügt. Eigentlich war es ihr völlig egal, was noch alles auf sie zukommen würde.
Der Nebel – er umgab sie wie ein Schutzschild – sie wollte ihn nicht verlassen. Wollte sich nicht dem Schmerz stellen, der sie da draußen erwartete. Aber irgendwann musste sie aus dem Nebel zurück ins Licht treten, und stark sein.
Wenn Sie erst bei ihrem Onkel Wilbour angekommen war, würden Entscheidungen getroffen werden, die ihr weiteres Leben bestimmen würden.
Der Onkel und seine Frau Alvina waren die zwei einzigen Menschen, die Emma noch geblieben waren. Zwar hatte sie das Paar nur einmal gesehen, als sie noch ein kleines Kind gewesen war, doch der Gedanke, in ihnen eine Stütze zu finden, tröstete Emma ein wenig. Mit ihnen würde sie ihren Schmerz teilen können.
Wilbour war der Bruder ihres Vaters und nun, da sie eine Waise war, ihr rechtmäßiger Vormund. Er würde Emmas Vermögen bis zum Tag ihrer Hochzeit, verwalten. Denn obwohl sie im Moment nichts besaß, war sie doch eine wohlhabende junge Frau. Die Landgüter ihres Vaters und seine Geschäfte würden auch weiterhin gute Gewinne abwerfen und ihr beträchtliches Vermögen mit der Zeit noch vermehren. Doch Emma würde ohne zu zögern auf ihr gesamtes Geld verzichten, könnte sie dadurch ihre Eltern zurück bekommen.
Von Weinkrämpfen geschüttelt, bebten ihre Schultern unter
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