Gefaehrliche Liebe
immer noch als seinen Job.
Ich lasse mich ganz ins Wasser gleiten, blende die Geräusche um mich herum aus. Jetzt müsste die Badewanne sich ausdehnen, dann könnte ich schwimmen, wie an heißen Sommertagen mit meinem Vater im Wald. Das waren ganz besondere Tage. Wir verließen dann schon frühmorgens das Haus und wanderten tiefer in den Wald hinein als sonst, bis zu einem kleinen See, den er bei der Jagd einmal entdeckt hatte. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich schwimmen gelernt habe, so klein war ich, als er es mir beibrachte. Ich erinnere mich nur noch daran, wie ich immer getaucht bin, im Wasser Purzelbäume schlug und herumplanschte. An den schlammigen Grund des Sees unter meinen Zehen. Den Duft von Blüten und Laub. Wie ich mich auf dem Rücken treiben ließ, so wie jetzt, und in den blauen Himmel schaute, während das Waldgezwitscher vom Wasser ausgeblendet wurde. Er erlegte Wasservögel, die am Ufer nisteten, ich suchte im Gras nach Eiern, und wir beide gruben im seichten Wasser nach Katniss-Knollen, dem Pfeilkraut, nach dem er mich benannt hat. Abends, wenn wir nach Hause kamen, tat meine Mutter so, als würde sie mich nicht wiedererkennen, weil ich so sauber war. Dann bereitete sie ein großartiges Essen aus gebratener Ente und gebackenen Knollen mit Soße.
Mit Gale bin ich nie zu dem See gegangen. Ich hätte es tun können. Es ist ein langer Weg dorthin, aber die Wasservögel sind so leichte Beute, dass man die verlorene Jagdzeit wieder wettmacht. Doch ich wollte den Ort mit niemandem teilen, den Ort, der nur meinem Vater und mir gehörte. Nach den Spielen, als ich wenig zu tun hatte, war ich ein paarmal da. Es war immer noch schön, dort zu schwimmen, aber die Ausflüge haben mich eher deprimiert. Der See hat sich in den letzten sechs Jahren erstaunlich wenig verändert, während ich kaum wiederzuerkennen bin.
Selbst unter Wasser höre ich den Tumult. Autohupen, laute Begrüßungen, Türenknallen. Das kann nur bedeuten, dass meine Begleiter eingetroffen sind. Ich habe gerade noch Zeit, mich abzutrocknen und einen Bademantel überzuziehen, bevor mein Vorbereitungsteam ins Badezimmer platzt. Eine Intimsphäre gibt es nicht. Was meinen Körper angeht, haben wir keine Geheimnisse voreinander, die drei und ich.
»Katniss, deine Augenbrauen!«, kreischt Venia sofort, und trotz des Unheils, das über mir schwebt, muss ich ein Lachen unterdrücken. Ihre blauen Haare stehen in spitzen Zacken vom Kopf ab, und ihre goldenen Tattoos, bisher nur über den Augenbrauen, schlängeln sich jetzt bis unter die Augen. All das verstärkt den Eindruck, dass ich sie wirklich erschreckt habe.
Octavia kommt und klopft Venia beruhigend auf den Rücken, ihr kurvenreicher Körper wirkt neben Venias dünnem, eckigem besonders füllig. »Na, na. Die kriegst du doch im Nu wieder hin. Aber was soll ich bloß mit diesen Nägeln anstellen?« Sie packt meine Finger und drückt sie zwischen ihren erbsgrünen Händen ganz platt. Nein, ihre Haut ist im Moment nicht richtig erbsgrün. Eher von einem hellen Immergrün. Bestimmt ist das im Kapitol gerade die neueste Mode. »Katniss, du hättest mir wirklich ein wenig Material übrig lassen können!«, jammert sie.
Sie hat recht. In den letzten Monaten habe ich meine Nägel völlig heruntergekaut. Ich hatte überlegt, es mir abzugewöhnen, aber mir fiel kein vernünftiger Grund ein. »Tut mir leid«, murmele ich. Darüber, was das für mein Vorbereitungsteam bedeuten würde, habe ich nicht groß nachgedacht.
Flavius hebt ein paar Strähnen meiner nassen, wirren Haare hoch. Er schüttelt missbilligend den Kopf, sodass seine orangefarbenen Korkenzieherlocken wippen. »Hat irgendjemand diese Haare berührt, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?«, fragt er streng. »Du weißt doch, wir haben dich vor allem gebeten, deine Haare in Ruhe zu lassen.«
»Ja!«, sage ich, dankbar, ihnen zeigen zu können, dass ich nicht völlig achtlos war. »Ich meine, nein, keiner hat sie geschnitten. Daran hab ich gedacht.« Nein, habe ich nicht. Die Frage hatte sich gar nicht gestellt. Seit ich zurück war, habe ich sie einfach, wie eh und je, zu einem Zopf geflochten.
Das scheint sie zu besänftigen, und sie küssen mich alle, setzen mich in meinem Schlafzimmer auf einen Stuhl, und dann plappern sie, wie üblich, unaufhörlich, ohne sich darum zu scheren, ob ich zuhöre. Während Venia meine Augenbrauen wieder in Form bringt, Octavia mir künstliche Fingernägel verpasst und Flavius irgendein Zeug in
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