Gefaehrliche Liebe
muss er das Blut entdeckt haben. »Johanna! Katniss!«, ruft er. Ich rühre mich nicht vom Fleck, bis er fort ist, in die Richtung, die Johanna und die Karrieros eingeschlagen haben.
Ich bewege mich, so schnell ich kann, ohne dass die Welt sich wieder dreht. In meinem Kopf hämmert es im Rhythmus meines rasenden Herzschlags. Das Klicken der Insekten, die wahrscheinlich vom Blutgeruch erregt sind, schwillt in meinen Ohren zu einem steten Gebrüll an. Oder nein. Vielleicht klingeln mir auch die Ohren von dem Schlag mit der Drahtrolle. Ich werde erst Gewissheit haben, wenn die Insekten still sind. Doch wenn die Insekten verstummen, kommt der Blitz. Ich muss schneller laufen. Ich muss zu Peeta.
Der Knall einer Kanone lässt mich abrupt stehen bleiben. Einer ist gestorben. Jetzt, da alle bewaffnet und voller Angst durch die Gegend laufen, könnte es jeder sein. Aber wer immer es auch sein mag, sein Tod wird der Startschuss für ein allgemeines Gemetzel heute Nacht sein. Die Leute werden erst töten, über ihre Motive werden sie dann hinterher nachdenken. Ich zwinge meine Beine zu rennen.
Etwas verhakt sich in meinen Füßen und ich falle der Länge nach hin. Ich spüre, wie sich etwas um mich wickelt, und plötzlich bin ich in Fasern gefangen, die in die Haut schneiden. Ein Netz! Das muss eins von Finnicks tollen Netzen sein, die er ausgelegt hat, um mich zu fangen, und er wartet bestimmt schon ganz in der Nähe mit erhobenem Dreizack. Ich schlage wild um mich, wodurch ich mich nur noch mehr in dem Netz verheddere. Dann betrachte ich es im Mondlicht genauer. Verwirrt hebe ich den Arm und sehe, dass es aus schimmernden Goldfaden besteht. Das ist gar keins von Finnicks Netzen, das ist Beetees Draht. Vorsichtig stehe ich auf und stelle fest, dass ich über ein Stück Draht gestolpert bin, das sich an einem Baumstamm verheddert hat, als es zum Gewitterbaum zurückgeschnellt ist. Vorsichtig befreie ich mich, halte von nun an einen Sicherheitsabstand zum Draht ein und haste weiter bergauf.
Die gute Nachricht ist, dass ich auf dem richtigen Weg bin und durch die Kopfverletzung immerhin nicht meinen Orientierungssinn verloren habe. Die schlechte ist das drohende Gewitter, an das der Draht mich erinnert hat. Noch höre ich die Insekten, aber sind sie nicht schon leiser geworden?
Beim Rennen halte ich mich an den Draht, der ein paar Meter links von mir in Schleifen daliegt, aber ich gebe gut acht, dass ich ihm nicht zu nah komme. Sobald die Insekten verstummen und der erste Blitz in den Baum einschlägt, wird er sich mit voller Wucht in diesen Draht entladen, und jeder, der damit in Berührung kommt, wird sterben.
Der Baum kommt in Sicht, sein Stamm ist wie mit Gold verziert. Ich bremse ab, versuche mich unauffällig zu bewegen, aber ich kann von Glück sagen, dass ich nicht umkippe. Ich suche nach Lebenszeichen der anderen. Nichts. Keiner da. »Peeta?«, rufe ich leise. »Peeta?«
Als Antwort kommt ein leises Stöhnen. Ich fahre herum und entdecke weiter oben auf dem Boden eine Gestalt. »Beetee!«, rufe ich. Ich renne zu ihm und knie hin. Das Stöhnen muss unwillkürlich gekommen sein. Er ist nicht bei Bewusstsein, obwohl ich keine Wunde sehe außer einem tiefen Schnitt unterhalb der Armbeuge. Ich klaube etwas Moos zusammen und verbinde damit provisorisch den Arm, während ich versuche, ihn wach zu rütteln: »Beetee! Beetee, was ist hier los? Woher hast du diese Wunde? Beetee!« Ich schüttele ihn, wie man einen Verletzten niemals schütteln sollte, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Er stöhnt wieder auf und hebt kurz die Hand, um mich abzuwehren.
Da erst bemerke ich das Messer in seiner Hand, ein Messer, das, soweit ich weiß, zuvor Peeta bei sich trug und das nun lose mit Draht umwickelt ist. Verdutzt stehe ich auf, ziehe an dem Draht und stelle fest, dass er mit dem Baum verbunden ist. Erst da fällt mir das zweite Stück Draht ein, das Beetee ganz am Anfang, bevor er sich dem Stamm widmete, um einen Ast gewickelt und Finnick gereicht hatte, damit der es auf den Boden legt. Ich hatte gedacht, das Stück hätte irgendeine Funktion für die Falle und Beetee wollte es später einbauen. Aber offenbar hatte er etwas anderes im Sinn, denn hier liegt es noch, gut zwanzig bis fünfundzwanzig Meter Draht.
Ein Blick den Hügel hinauf sagt mir, dass wir uns ganz in der Nähe des Kraftfelds befinden. Da ist die verräterische freie Stelle, weit rechts über mir, genau wie heute Morgen. Was hatte Beetee vor? Hat er
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