Gefaehrliche Liebe
zurücknehmen. Sie wirken augenblicklich auf Gale - seine Wangen werden rot, seine grauen Augen leuchten. »In Distrikt 8 gibt es einen Aufstand?«, fragt er gedämpft.
Ich versuche zurückzurudern. Ihn zu beschwichtigen, so, wie ich die Distrikte versucht habe zu beschwichtigen. »Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Aufstand ist. Es gibt Unruhen. Die Leute auf den Straßen ...«
Gale fasst mich bei den Schultern. »Was hast du gesehen?«
»Nichts! Ich hab es nicht selbst gesehen. Ich hab nur was gehört.« Wie immer ist es zu wenig, zu spät. Ich gebe auf und erzähle es ihm. »Ich hab beim Bürgermeister was im Fernsehen gesehen. Was ich eigentlich nicht sehen sollte. Da war eine Menschenmenge und Feuer, und die Friedenswächter haben Leute über den Haufen geschossen, aber es gab Widerstand ...« Ich beiße mir auf die Lippe und versuche mit Mühe, die Szene weiter zu beschreiben. Stattdessen spreche ich die Worte aus, die mich seitdem quälen. »Und ich bin schuld, Gale. Weil ich das mit den Beeren in der Arena gemacht habe. Wenn ich mich einfach umgebracht hätte, wäre das alles nicht passiert. Peeta wäre nach Hause gekommen und hätte weiterleben können und alle anderen wären auch in Sicherheit gewesen.«
»In was für einer Sicherheit?«, sagt er, sanfter jetzt. »In der Sicherheit, zu verhungern? Wie Sklaven zu arbeiten? Ihre Kinder zur Ernte zu schicken? Du hast den Leuten nichts angetan - du hast ihnen eine Chance gegeben. Sie müssen nur den Mut haben, sie zu ergreifen. In den Bergwerken habe ich schon etwas gehört. Einige wollen kämpfen. Verstehst du nicht? Es passiert! Endlich passiert es! Wenn es in Distrikt 8 einen Aufstand gibt, warum nicht auch hier? Warum nicht überall? Das könnte es sein, das, was wir ...«
»Hör auf! Du weißt ja nicht, was du da sagst. Die Friedenswächter außerhalb von Distrikt 12, die sind nicht wie Darius, nicht mal wie Cray! Denen bedeutet ein Menschenleben weniger als nichts!«, sage ich.
»Deshalb müssen wir mitkämpfen«, erwidert er scharf.
»Nein! Wir müssen fort von hier, bevor sie uns und jede Menge anderer Menschen auch noch umbringen!« Jetzt schreie ich wieder, ich verstehe nicht, was er hat. Warum sieht er nicht, was so offensichtlich ist?
Gale schiebt mich unsanft weg. »Dann hau doch ab. Ich gehe nicht in hunderttausend Jahren.«
»Eben wolltest du noch gern mitkommen. Ich verstehe nicht, was ein Aufstand in Distrikt 8 ausmacht, außer dass unsere Flucht dadurch noch dringlicher wird. Du bist ja nur sauer wegen ...« Nein, ich kann ihm jetzt nicht Peeta ins Gesicht schleudern. »Was ist mit deiner Familie?«
»Was ist mit den anderen Familien, Katniss? Mit denen, die nicht weglaufen können? Begreifst du nicht? Jetzt kann es nicht mehr darum gehen,
unser
Leben zu retten. Nicht, wenn die Rebellion angefangen hat!« Gale schüttelt den Kopf, er macht keinen Hehl aus seinem Ärger über mich. »Du könntest so viel tun.« Er wirft mir Cinnas Handschuhe vor die Füße. »Ich hab meine Meinung geändert. Ich will nichts haben, was im Kapitol gemacht wurde.« Und damit ist er verschwunden.
Ich schaue auf die Handschuhe. Nichts, was im Kapitol gemacht wurde? War das auf mich gemünzt? Meint er, ich bin jetzt auch bloß noch ein Produkt des Kapitols und deshalb unberührbar? Ich werde wütend, es ist so ungerecht. Aber in die Wut mischt sich Angst davor, was für eine Verrücktheit er wohl als Nächstes anstellt.
Ich lasse mich neben das Feuer sinken, ich brauche etwas Tröstliches, um den nächsten Schritt planen zu können. Ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass Revolutionen nicht an einem Tag gemacht werden. Vor morgen kann Gale nicht mit den Bergarbeitern sprechen. Wenn ich es vorher zu Hazelle schaffe, kann sie ihm vielleicht den Kopf zurechtrücken.
Aber jetzt kann ich nicht zu ihr. Falls er da ist, würde er mich aussperren. Vielleicht heute Nacht, wenn alle anderen schlafen ... Hazelle hat oft bis in die Nacht mit ihrer Wäsche zu tun. Dann könnte ich zu ihr gehen, ans Fenster klopfen und ihr erklären, was los ist, damit sie Gale vor einer Dummheit bewahrt.
Mein Gespräch mit Präsident Snow im Arbeitszimmer fällt mir wieder ein.
»Meine Berater hatten Sorge, du könntest Schwierigkeiten machen, aber du hast nicht vor, Schwierigkeiten zu machen, oder?«, fragt er.
»Nein«, sage ich.
»Das habe ich ihnen auch gesagt. Ich habe gesagt, ein Mädchen, das so viel auf sich nimmt, um sein Leben zu retten, wird kein Interesse daran
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