Gefaehrliche Liebe
ist, doch ich unternehme keine Anstrengung, es zu verbergen. Denn einen Moment lang muss selbst ich das verarbeiten, was Peeta gerade gesagt hat. Ist es nicht genau das, was mich am meisten an der Hochzeit, an der Zukunft geängstigt hat - dass ich meine Kinder an die Spiele verlieren könnte? Und jetzt könnte es Wirklichkeit werden. Wenn ich nicht mein Leben lang Abwehrmauern errichtet hätte, bis ich schon bei der bloßen Andeutung von Heirat oder Familie zurückschrecke.
Caesar bekommt die Menge nicht mehr in den Griff, nicht einmal, als das Signal ertönt. Peeta nickt zum Abschied und geht ohne ein weiteres Wort zurück zu seinem Platz. Ich sehe, wie Caesars Lippen sich bewegen, doch im Publikum herrscht der reinste Aufruhr und ich verstehe kein Wort. Einzig das Getöse der Nationalhymne, so laut aufgedreht, dass es mir durch Mark und Bein geht, zeigt uns an, wo wir mit dem Programm angekommen sind. Ich stehe automatisch auf und spüre, dass Peeta nach meiner Hand fasst. Als ich sie ergreife, laufen ihm Tränen über das Gesicht. Wie echt sind die Tränen? Sind sie ein Zeichen dafür, dass er von denselben Ängsten verfolgt wird wie ich? Wie jeder Sieger? Wie alle Eltern in jedem Distrikt von Panem?
Ich schaue wieder ins Publikum, doch die Gesichter von Rues Mutter und Vater schieben sich vor meine Augen. Ihre Trauer. Ihr Verlust. Ich drehe mich spontan zu Chaff um und reiche ihm die Hand. Meine Finger schließen sich um den Stumpf, in dem sein Arm jetzt ausläuft, und halten ihn fest.
Und dann geschieht es. Von einem Ende der Reihe bis zum anderen reichen sich die Sieger die Hände. Einige spontan, wie die Morfixer und Wiress und Beetee. Andere unsicher, aber mitgerissen durch die Aufforderung der anderen, wie Brutus und Enobaria. Als die letzten Töne der Hymne erklingen, stehen wir alle vierundzwanzig in einer geschlossenen Reihe - seit den Dunklen Tagen ist das wohl die erste öffentliche Demonstration von Einheit unter den Distrikten. Man sieht, wie diese Erkenntnis durchdringt, als die Bildschirme einer nach dem anderen schwarz werden. Doch zu spät. In der allgemeinen Verwirrung haben sie uns nicht rechtzeitig abgeschaltet. Alle haben es gesehen.
Auch auf der Bühne bricht Chaos aus, die Scheinwerfer erlöschen, und wir stolpern zurück zum Trainingscenter. Ich habe Chaff verloren, aber Peeta führt mich zu einem Aufzug. Finnick und Johanna wollen mit hinein, doch ein gestresster Friedenswächter versperrt ihnen den Weg, und wir sausen allein nach oben.
In dem Moment, als wir den Aufzug verlassen, fasst Peeta mich bei den Schultern. »Wir haben nicht viel Zeit, also sag es mir jetzt. Muss ich mich für irgendetwas entschuldigen?«
»Für gar nichts«, sage ich. Es war ein gewagter Schritt ohne meine Einwilligung, aber ich bin nur froh, dass ich nichts davon wusste und keine Zeit hatte, ihm reinzureden; froh, dass mein schlechtes Gewissen Gale gegenüber meine Gefühle für das, was Peeta getan hat, nicht schmälern konnte. Und ich fühle mich gestärkt.
Irgendwo in weiter Ferne gibt es einen Distrikt 12, wo meine Mutter, meine Schwester und meine Freunde mit den Folgen dieses Abends leben müssen. Nur einen kleinen Flug mit dem Hovercraft entfernt liegt eine Arena, wo auf Peeta und mich und die anderen Tribute unsere Strafe wartet. Doch selbst wenn wir alle ein schreckliches Ende finden, ist heute Abend auf der Bühne etwas passiert, das nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Wir Sieger haben unseren eigenen Aufstand inszeniert und vielleicht, ganz vielleicht, wird es dem Kapitol nicht gelingen, ihn zu unterdrücken.
Wir warten auf die anderen, doch als die Fahrstuhltür aufgeht, erscheint nur Haymitch. »Das ist Wahnsinn da draußen. Sie haben alle nach Hause geschickt und die Zusammenfassung der Interviews im Fernsehen ist gestrichen.«
Peeta und ich laufen schnell zum Fenster und versuchen, in dem Tumult weit unter uns auf den Straßen etwas zu erkennen. »Was sagen sie?«, fragt Peeta. »Fordern sie den Präsidenten auf, die Spiele zu stoppen?«
»Ich glaube nicht, dass sie wissen, was sie fordern sollen. Die ganze Situation ist beispiellos. Schon die Vorstellung, sich den Plänen des Kapitols zu widersetzen, verwirrt die Leute hier«, sagt Haymitch. »Aber es ist ausgeschlossen, dass Snow die Spiele absetzt. Das wisst ihr doch, oder?«
Ich weiß es. Natürlich kann er jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als zurückzuschlagen, und zwar mit voller
Weitere Kostenlose Bücher