Gefaehrliche Maskerade einer Lady
passiert?“, fragte Ayisha hastig. Die Nachbarin neigte dazu, alles zu dramatisieren.
„Er wollte einen Ausländer bestehlen“, antwortete die Frau. „Aber der Mann hat ihn erwischt und mitgenommen.“
„Oh nein!“ Ayisha wusste sofort, welchen Ausländer sie meinte, und was Ali stehlen wollte. „Dieser Dummkopf.“
„Man wird ihm die Hand abhacken“, flüsterte Laila entsetzt. „Sie machen ihn zum Krüppel, zum Bettler.“
„Wenn die Männer des Paschas ihn erwischt hätten, wäre sein Schicksal besiegelt“, stimmte die Nachbarin zu. „Aber der Ausländer hat ihn mitgenommen. Wer weiß, was Ausländer mit Dieben anstellen?“
„Vielleicht hast du recht“, erwiderte Ayisha. Sie sprach sich selbst Mut zu, obwohl sie Zweifel hatte. „Möglicherweise bekommt er nur eine Tracht Prügel. Engländer hacken einem Kind keine Hände ab.“ Sie sah die Nachbarin erwartungsvoll an. „Wohin hat der Ausländer Ali gebracht?“
„Zu der rosafarbenen Villa am anderen Flussufer. Die mit dem hohen Maulbeerbaum.“
Es war Ayishas früheres Zuhause. Seit dem furchtbaren Überfall war sie nicht mehr dort gewesen. „Ich kenne das Haus“, sagte sie resolut. „Ich gehe hin und hole Ali zurück.“
„Aber wie willst du das anstellen?“, fragte Laila ängstlich. „Wir haben kein Geld und Omar wird uns nicht unterstützen.“
„Ich schleiche mich einfach unbemerkt ins Haus und stehle Ali.“ „Aber ...“ Laila sah erschrocken zur Nachbarin.
„Ich schaffe es schon, mach dir nur keine Sorgen“, beruhigte Ayisha sie. „Ich habe noch genügend Zeit, bis die Tore schließen.“ Um die Bevölkerung vor gefährlichen Seuchen und vor Verbrechen zu schützen, hatte der Pascha angeordnet, alle Viertel der Stadt bei Einbruch der Dunkelheit mit schweren Toren zu schließen. Die Bewohner Kairos konnten sich nachts nur mit Erlaubnis der Torwächter durch die Stadt bewegen. Wer nachts durch die Gassen schlich, musste zudem eine Fackel oder Laterne bei sich tragen. Dadurch war die Zahl der Einbrüche und Überfälle stark zurückgegangen, doch gegen die Verbreitung von Seuchen vermochten diese Maßnahmen nichts auszurichten.
„Sei unbesorgt, Laila, Ali und ich sind vor dem Morgengrauen wieder zu Hause.“
Sie nahm eine Seilrolle vom Haken an der Mauer und wickelte sie sich um die Taille.
Sie trug stets ein Messer unter dem Hemd. Nun band sie sich einen Lederriemen um das Schienbein und steckte einen schmalen Dolch als Waffe hinein. Sie hoffte jedoch, dass sie ihn nicht brauchen würde. Laila schloss sie in die Arme. „Allah schütze dich.“
Ayisha nickte. Sie war noch nie gezwungen gewesen, sich mit einem Messer zu wehren, doch sie würde diesen Engländer töten, bevor er ihrer habhaft wurde.
Die Falle war vorbereitet. Der Junge schlief tief und fest, und Rafe verließ leise das Zimmer, ohne die Tür zu schließen. Sie stand noch halb offen.
Er trat an die offenen Verandatüren und blickte in die samtschwarze Nacht hinaus. Der Halbmond schien durch dünne Dunstschleier hindurch auf den Nil und verwandelte den Fluss in ein silbern glitzerndes Band. Die Luft war an diesem Abend kühl und feucht, und ein leichter Wind fächelte in den Blättern des hohen alten Maulbeerbaums an der Gartenmauer. Rafe glaubte sogar, den schwach würzigen Duft der Wüste zu riechen. Die stinkende staubige Stadt schien Welten von hier entfernt zu sein und, nicht nur eine halbe Meile.
Bei Tageslicht wirkte das einst elegante Haus von Sir Henry Cleeve schäbig und vernachlässigt, bei Nacht aber haftete ihm ein verwunschener Zauber an. Zikaden zirpten in den Lotussträuchern, und der Duft der Damaszener Rosen wehte süß aus dem Innenhof zu ihm herauf.
Es stimmte ihn traurig, diese Villa als Falle zu nutzen, aber er hatte deutlich gespürt, wie ihm jemand den ganzen Tag über gefolgt war.
Und dieser jemand hatte ihm offenbar diesen Jungen geschickt, um das Bild zu stehlen.
Das Bild und das Gold hatten die Leute neugierig gemacht, genau wie Baxter es vorhergesagt hatte. Und Neugier war ein hoffnungsvolles Zeichen.
Rafe hatte die frühere Cleeve-Villa für drei Wochen mieten können. Es war ein Glücksfall, ebenso wie Begegnung mit Johnny Baxter, dem Cousin seines Freundes Bertie. Johnny lebte in Kairo und Rafe hatte ihn gleich am ersten Tag aufgesucht.
„Johnny ist der Mann, den du in Kairo brauchst“, hatte Bertie gesagt. „Er weiß alles, und er kennt jeden.“
Johnny Baxter war, wie Rafe von Bertie erfuhr, in der Schlacht
Weitere Kostenlose Bücher