Gefaehrliche Maskerade einer Lady
ihr frisches ofenwarmes Gebäck. Ich schlich ihr nach und sog den leckeren Geruch ein und mir war beinahe, als würde ich etwas von den Köstlichkeiten essen. Ich habe gehofft, sie würde mir ein abgebrochenes Stück oder eine Kruste zuwerfen, aber das war leider vergeblich.“
Er nickte.
„Also bin ich ihr bis zu ihrem Haus gefolgt. Und dann öffnete sie die Hintertür und winkte mir zu.“
„Und Sie sind ihr gefolgt?“
Ayisha schüttelte den Kopf. „Nein. Nach neun Monaten auf der Straße habe ich niemandem mehr getraut. Also ist sie wieder hineingegangen und hat sie Tür geschlossen.“ Ayisha lächelte scheu. „Aber ich konnte mich nicht von dem köstlichen Geruch lösen.“ Sie schwieg.
„Reden Sie weiter.“
„Nach einer Weile kam Laila wieder heraus und legte eine Pastete auf die Stufe. Stellen Sie sich vor, eine ganze unversehrte Pastete!“ Ayishas Stimme versagte, sie presste die Lippen aufeinander.
Rafe berührte ihre Hand, die sie ihm sofort entzog, da sie fürchtete, in Tränen auszubrechen. Wieso war sie auf einmal so rührselig? Sie hatte Ali diese Geschichte schon Dutzend Mal erzählt.
Sie schluckte und zwang sich, fortzufahren. „Sie legte die Pastete auf die Stufe. Eine ganze duftende Pastete auf einem schönen sauberen Teller.“
Beim Duft der Pastete war ihr das Wasser im Munde zusammengelaufen, doch der Anblick des Tellers rührte sie zu Tränen. Auch jetzt, wo sie sich daran erinnerte, stiegen ihr die Tränen wieder in die Augen. Sie sah ihn an und begriff, dass er nicht verstand.
Mit bebender Stimme erklärte sie: „Ich hatte seit Monaten nicht mehr von einem Teller gegessen, verstehen Sie? Die Pastete war köstlich, aber der Teller“, sie atmete tief durch, „der Teller sagte mir, dass ich noch ein Mensch war und keine“, sie stockte mit bebender Stimme.
„Keine Ratte“, ergänzte er leise und zog sie an sich. Sie nickte und lehnte sich an seine breite Schulter. Verstohlen wischte sie die Tränen beiseite.
Ihr Magen hatte danach geschrien, die Pastete gierig zu verschlingen und loszurennen. Stattdessen hatte sie sich mit dem Teller in ein Versteck verkrochen und hatte das Gebäck langsam und genussvoll verspeist, wie ein Mensch. Der Teller hatte sie daran erinnert, wer sie war.
Rafe reichte ihr sein Taschentuch. Seine Fingerknöchel waren blutverkrustet, aber sein Taschentuch war blütenweiß. Sie wischte sich die Augen.
„Die warme Pastete schmeckte himmlisch. Sie war das Beste, was ich je gegessen hatte.“ Sie putzte sich die Nase und kam sich kindisch vor. Wie konnte sie wegen eines Tellers nur so rührselig sein?
„Laila sagte mir, dass Sie anschließend Brennmaterial für ihren Ofen gesammelt haben.“
„Natürlich“, antwortete Ayisha resolut. Sie richtete sich auf und gab ihm das Taschentuch zurück. „Sie hatte mir ein kostbares Geschenk gemacht. Ich musste ihr etwas zurückgeben, auch wenn es nichts Besonderes war.“ Sie hatte den Teller gesäubert und ein Bündel trockenes Reisig, Gras und Kameldung gesammelt.
„Laila hat mir damals nicht nur ein Stück Pastete, sie mir auch meine Würde zurückgegeben.“
Er nickte. „Ich verstehe.“
„Ich stehe noch immer in ihrer Schuld“, sagte Ayisha mit Nachdruck.
Er blickte ihr direkt in die Augen. „Ich weiß. Und ich sorge für ihr Wohl, das verspreche ich. Baxters Leute suchen bereits in Alexandria nach einem Haus. Es wird auf Lailas und Alis Namen überschrieben. Niemand wird es ihnen jemals wegnehmen können.“
Ayisha sagte lange nichts. Dann nahm sie ein Kissen auf den Schoß und nestelte mit zitternden Fingern an den Fransen.
„Nun gut“, sagte sie schließlich mit belegter Stimme. „Wenn Laila ein sicheres Haus hat und Ali einen Ausbildungsplatz und Arbeit, dann gehe ich mit Ihnen nach England.“ Sie hob entschlossen ihr kleines Kinn, doch in ihren Augen lag so viel Verzweiflung und Zerrissenheit.
Es war ein schwerer Schritt für sie. Rafe sah mittlerweile ein, wie arrogant sein Urteil über ihr bisheriges Leben gewesen war. Oberflächlich betrachtet führte sie tatsächlich ein Leben in Not und Elend, doch in den vergangenen Tagen hatte er erkannt, dass es in ihrem Leben voller Armut und Entbehrung auch viel Liebe gab.
Er kannte die Macht der Liebe. Er würde seine Gefühle für seine Freunde niemals als Liebe bezeichnen, er würde das Wort niemals aussprechen, obwohl es zutreffend war. Gabe, Harry und Luke standen ihm näher als sein eigener Bruder. Diese Freundschaft und der
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