Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
der Le Monde und trinkt durch einen Strohhalm eine Dose Jumex, eine bei Lateinamerikanern beliebte Fruchtsaftmischung. Gelächter ertönt und dann erregt ein Mann, der sich zwanzig Meter von mir entfernt im Garten befindet, meine Aufmerksamkeit. Er ist Mexikaner, Anfang bis Mitte dreißig in einem dunkelblauen T-Shirt, kakifarbenen Shorts und Arbeitsstiefeln. Er wässert die Pflanzen in den großen Blumentöpfen und sammelt die pinkfarbenen,flauschigen Blüten ein, die wie Schnee zu Boden fallen. Aber er spielt auch mit einem kleinen Hund mit hellem Fell, der ihn sehr zu mögen scheint. So wie die Frau ganz in der Nähe den beiden kopfschüttelnd und lächelnd zusieht, scheint der Hund ihr zu gehören. Es ist eindeutig ein Spiel. Mit den tänzelnden Bewegungen eines Stierkämpfers neckt der Mann den Hund und trainiert ihn gleichzeitig. Er sieht umwerfend aus. Auch auf diese Entfernung sind sein ausgeprägtes Kinn, die feinen Linien seiner Nase und natürlich auch sein schlanker, muskulöser Oberkörper mit den kräftigen Armen zu erkennen.
Er tritt zwischen den chinesischen Hanfpalmen hervor und grinst. »Buenos dias«, sagt er und nickt mir zu, als würden wir uns bereits kennen. Der Hund leckt an seinem nackten Bein und der Mann lacht und springt zur Seite. »Du schummelst, Pepe«, sagt er in perfektem Englisch zu dem Hund. »Ich war abgelenkt. Aber okay. Ein Punkt für dich.«
»Buenos dias«, antworte ich und fühle mich albern und auch, seltsamerweise, plötzlich ein bisschen überdreht.
Er wirft mir mit demselben freundlichen Grinsen erneut einen Blick zu.
Die Sonne dringt durch meine Haut. Bis in meine Knochen. Und sie entspannt mich in einer Weise, wie ich es seit wer weiß wie langer Zeit nicht mehr erlebt habe. Ich suche mir eine etwas abgelegene Liege aus, die voll in der Sonne steht, lege meine Sachen ab und ziehe die Strandjacke aus. Ich creme mich mit Sonnenschutzfaktor dreißig ein, Duftrichtung Kakaobutter, und weiß instinktiv, dass der Stierkämpfer mir zusieht. Ich lehne mich zurück, greife nach einem alten Roman von Joella Lundstrum und verliere mich in den Problemen anderer Leute.
Irgendwann schlafe ich ein.
Als ich aufwache, sind alle fort. Der Wind hat zugenommen und verteilt die pinkfarbenen Blüten im Pool und um ihn herum. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Fast eine Stunde ist vergangen. Mein Gesicht fühlt sich warm und straff an. Ich drehe mich auf den Bauch und ziehe den Schritt meines Bikinihöschens zurecht. Meine Finger sind immer noch darin verhakt, als die Pforte zum Pool geöffnet wird und der Stierkämpfer mir zunickt.
Schnell befreie ich meine Finger und lächle. Mir ist bewusst, dass wir allein sind. Ich lege meine Hände unter meiner Wange aufeinander und schließe die Augen. Wieso rechne ich damit, dass er zu mir kommt? Ich warte auf das Geräusch seiner Arbeitsstiefel auf dem Beton. Als nichts geschieht, öffne ich die Augen und sehe ihn auf der anderen Seite des Pools. Er steht mit dem Rücken zu mir und wickelt den Gartenschlauch auf. Ich sehe ihn zum ersten Mal aus diesem Winkel und mein Herz setzt einen Schlag aus. Er streift sich die Handschuhe ab und lässt sie in einen weißen Eimer fallen, den er dann hochnimmt. Was für ein Klischee. Selbst als sich mein Atem wieder beruhigt hat, kommt mir das alles wie eine Szene aus
Triebe der Liebe
vor, ein Roman, in dem sich Poolboys darauf spezialisiert haben, Frauen zu verwöhnen. Einzig die Erinnerung an Seth bringt mich auf diesen Gedanken. Ich hätte das nicht zulassen sollen. Ich schlucke, weil ich dringend etwas zu trinken brauche.
Er kommt zu mir herübergeschlendert, in der Hand eine kleine Harke, mit der er jetzt, nur einen guten Meter von mir entfernt, verwelktes Laub und kleine Äste unter dem rotenHibiskus zusammenkratzt. »Was lesen Sie?«, fragt er, ohne sich umzudrehen.
Blut schießt mir in die Fingerspitzen. Mein Buch liegt neben mir auf dem Boden. »Joella Lundstrum?«, erwidere ich fragend, als sei ich mir unsicher.
Er nickt. »Lundstrum. Sie ist hier in Mexiko sehr erfolgreich. Aber ich schätze, das ist sie überall.«
Er spricht praktisch ohne Akzent.
»Sie haben sie gelesen?«
Er hält inne, stützt sich auf seine Harke und sieht mich plötzlich direkt an. »Mein Lieblingsbuch ist
Der Weg hinaus auf die offene See.
«
Ich setze mich auf. »Tatsächlich? Das hat mir auch gut gefallen. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, wäre mein Lieblingsbuch
Das Gelage.
«
»Hab ich noch nicht
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