Gefährliche Praxis
sein Problem‹. Aber ich kann es nicht so machen wie er. Es ist auch mein Problem, selbst wenn ihr nicht meine Freunde wärt.«
An der Art, wie Emanuel und Nicola es vermieden, sich oder sie anzuschauen, merkte sie, daß dieser Punkt zwischen ihnen zumindest erwähnt worden war. »In der Tat«, fuhr sie fort, »bin ich, aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen, sagen wir, aus dem der Polizei, selbst ziemlich verdächtig. Der Kriminalbeamte, der bei mir war, hat mich gefragt, wo ich gestern vormittag war. Das konnte reine ›Routine‹ sein, wie sie es nennen; vielleicht aber auch nicht.«
Emanuel und Nicola starrten sie an. »Das ist absoluter Unsinn«, sagte Emanuel.
»Kein größerer Unsinn als der Gedanke, daß du sie in deiner eigenen Praxis ermordet haben solltest, oder vielleicht Nicola. Sieh dir das doch einmal vom Standpunkt des Kriminalbeamten Stern an: Ich weiß mehr oder weniger genau, wie bei euch der Tag abläuft, im Haushalt und in der Praxis. Wie sich herausgestellt hat, wußte ich nicht, wie das mit deinem Telefon geht, den Lichtsignalen statt des Läutens, oder darüber, daß du nicht antwortest, wenn du mit einem Patienten sprichst, aber dafür steht nur meine Aussage. Ich habe das Mädchen zu Emanuel geschickt. Vielleicht war ich ihretwegen eifersüchtig bis zum Wahnsinn, oder ich hatte ihr Geld gestohlen oder eine ihrer literarischen Ideen und packte deshalb die Gelegenheit beim Schopf und brachte sie um.«
»Aber du standest in keinerlei persönlicher Beziehung zu ihr, oder?« fragte Nicola.
»Natürlich nicht. Aber ich nehme an, Emanuel genausowenig. Doch die Polizei muß unterstellen, daß es da eine Verbindung gab, eine verrückte Leidenschaft oder etwas Ähnliches, wenn er sogar so weit ging, sie in seiner eigenen Praxis umzubringen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie annehmen, er habe plötzlich den Verstand verloren und sie während einer ihrer interessanteren freien Assoziationen erdolcht.«
»Sie war eine Schönheit«, sagte Nicola. Sie ließ den Satz fallen, wie ein Kind einem ein Geschenk ungeschickt in den Schoß fallen läßt. Emanuel und Kate wollten beide zugleich sagen: »Woher weißt du das?« Aber keiner sprach es aus. Konnte Nicki das in dem Augenblick aufgefallen sein, als sie das Mädchen tot fand? Mit einem Schlag erinnerte sich auch Kate an die Schönheit des Mädchens. Es war keine von jener strahlenden Art gewesen, nach der sich die Männer auf der Straße umdrehen und die sie auf Parties umringen. Diese Art von Schönheit war nicht mehr und nicht weniger als das Resultat von Farbe und Make-up auf einem ansprechenden, ebenmäßigen Gesicht. Janet Harrison hatte etwas gehabt, das Kate als »Schönheit durch und durch« bezeichnete. Die fein ausgeprägten Züge, die Flächen ihres Gesichts, die tiefliegenden Augen, die breite klare Stirn – das machte ihre Schönheit aus, die sich auf den zweiten oder dritten Blick plötzlich erschloß, als habe sie sich bis dahin verborgen gehalten. Mein Gott, dachte Kate, mußte das noch dazukommen. »Worauf ich hinauswollte, ist«, fuhr sie nach kurzer Pause fort, »daß ich eine Verantwortlichkeit für all dies spüre, eine Schuld, wenn ihr so wollt, und es wird mir ganz sicher helfen, wenn ihr mir alles sagt, was ihr wißt, ganz ausführlich. Ich habe jetzt schon ziemlich gut den Tagesablauf vor mir. Um zehn Uhr dreißig hat Nicola die Wohnung verlassen, und Emanuel befand sich mit dem Zehn-Uhr-Patienten in der Praxis, als das Telefonlämpchen einen Anruf signalisierte. Hat es einmal aufgeleuchtet, ich meine, für einen Anruf, oder waren es zwei?«
»Es waren zwei. Wahrscheinlich würde die Person, wenn es dieselbe war – sagen wir: der Mörder – sich die Mühe machen und zweimal anrufen, wenn sie für beide den Termin absagen würde. Es würde gleich Verdacht erregen, wenn einer das für beide Patienten erledigen würde. Die Patienten kennen sich untereinander ja nicht.«
»Weißt du sicher, daß sie das nicht tun?«
»Laß es mich so ausdrücken: Sie könnten sich schon einmal im Wartezimmer begegnet sein, das kommt bisweilen vor. Aber wenn sie sich wirklich gut gekannt hätten, dann hätte ich wohl davon gewußt.«
»So etwas kommt bei der Analyse heraus?«
Emanuel nickte und war offensichtlich nicht bereit, das im einzelnen zu diskutieren. »Aber«, fragte Kate, »wenn der Zwölf-Uhr-Patient, ein Mann, aus irgendeinem Grund ihre Anziehungskraft auf ihn und ihre Verbindung zu ihm geheimhalten wollte, würde er
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