Gefährliche Stille
gewarnt, zum Schweigen verdonnert. Jetzt
würde ich gar nichts aus Jim und Susan herauskriegen.
»Komm schon«, sagte er und hielt mir
die Tür weit auf. »Was auch passiert, wir sind auf deiner Seite.«
Ich folgte ihm ins kühle Haus und durch
eine Reihe von Zimmern auf eine Terrasse mit Blick auf waldiges Land und ferne
Berggipfel. Susan saß in einem Liegestuhl, in Shorts und barfuß, das graue Haar
zerzaust. Sie sah mich genauso prüfend an wie er eben, guckte dann zu ihm
hinüber und nickte in wortlosem Einverständnis. »Wir haben uns schon gefragt,
wann du auftauchen würdest«, sagte sie.
»Ma muss sich ausgerechnet haben, dass
ich mit euch reden wollen würde. John wusste, dass ich hierher wollte, aber er
hätte es ihr nie erzählt. Was hat sie gesagt?«
»Dass du ganz durcheinander bist, wegen
irgendetwas, was du nach Andys Tod herausgefunden hast, und dass du dich völlig
irrational verhältst.«
»Na toll.« Ich setzte mich auf den
Stuhl neben ihrem. »Das haben wir ihr natürlich nicht abgenommen. Wir haben
dich noch nie irrational erlebt.«
»Ma übertreibt wie immer.«
»Na ja, du kennst ja deine Mutter.«
Nein, eben nicht. Nicht so, wie ich
dachte.
Jim war wieder nach drinnen gegangen;
jetzt erschien er mit einem Glas Weißwein für mich — er erinnerte sich, was ich
trank, obwohl er mich etliche Jahre nicht gesehen hatte. Keine Herablassung,
kein Mitleid, nur die Bestätigung, was die Paranoia betraf.
Ich fragte: »Hat Ma euch erzählt, was
ich herausgefunden habe?«
Jim setzte sich in seinen Stuhl und
schüttelte den Kopf. »Nein. Und jetzt, wo ich dich gesehen habe, muss ich
sagen, wenn hier jemand verrückt ist, dann ist es Katie. Was hat das alles zu
bedeuten?«
Ich zog den Adoptionsantrag aus meiner
Tasche und gab ihn ihm. Er fischte seine Brille aus der Hemdtasche, las und
pfiff dann leise durch die Zähne. Seine Überraschung schien echt. »Suzy, guck
dir das mal an.«
Sie überflog das Papier stirnrunzelnd.
»Unglaublich!«
»Das dachte ich zuerst auch, als ich’s
gefunden habe. Aber dann hat sich alles zusammengefügt. Ich wollte Ma zur Rede
stellen, aber sie hat mir jede Erklärung verweigert.« Ich schilderte ihnen kurz
Mas Reaktion und wiederholte dann, was mir John über die Zeit erzählt hatte,
als sie angeblich mit mir schwanger war.
»Tja, da haben sie uns auch was
vorgemacht«, sagte Jim. »Das ist ja wirklich ein Schock.«
»Was glaubt ihr, warum sie das getan
haben? Es wäre doch so viel leichter gewesen, wenn alle — auch ich — Bescheid
gewusst hätten.«
Er sah Susan an, zuckte die Achseln.
»Hat Ma sonst noch was gesagt, als sie
angerufen hat?«, fragte ich.
»Nur, dass du vermutlich einen Haufen
Fragen stellen würdest, die wir nicht beantworten könnten. Dass wir nicht
alles, was du sagst, für bare Münze nehmen sollten, weil es eine komplizierte
Situation sei. Dass du vermutlich über früher reden wollen würdest und dass wir
bitte nichts von Fenella sagen sollten.«
»Großtante Fenella?« Sie hatte meinem
Großvater den Haushalt geführt und sich um Pa und den noch sehr kleinen Jim
gekümmert, als deren Mutter an Krebs gestorben war. »Was in aller Welt hat die
damit zu tun?«
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich’s
weiß.«
»Kann es sein, dass sie...«
»Deine leibliche Mutter war?« Jim sah
Susan an. »Kaum«, sagte Susan. »Als du geboren wurdest, war Fenella schon fast
fünfzig. Und selbst wenn sie körperlich noch in der Lage gewesen wäre,
schwanger zu werden, beweist doch ihre gesamte Vorgeschichte, dass sie das zu
verhindern wusste.«
Ich vergegenwärtigte mir Fenella, die
mit vierundsechzig beim Bergsteigen tödlich verunglückt war. Sie hatte zwar nie
geheiratet, aber mehr als ihren gerechten Anteil an Liebhabern gehabt und dem
Klischee der altjüngferlichen Tante in keiner Weise entsprochen. »Aber was hat
sie dann damit zu tun?«
Jim sagte: »Interessante Frage.«
»Seid ihr willens, über sie zu reden,
obwohl Ma euch gebeten hat, es nicht zu tun?«
Sie sahen einander an, und ein Blitzen
trat in Jims Augen. »Ich habe Katie immer gemocht«, sagte er, »aber seit sie
sich mit dem Waschsalonkönig zusammengetan hat, verwandelt sie sich zusehends
in eine herrische Nervensäge. Liebend gern reden wir mit dir über Fenella.«
Ich war erschöpft von der letzten
schlaflosen Nacht, deshalb entschuldigte ich mich kurz nach dem Essen und ging
in Jims und Susans gemütliches Gästezimmer, wo ich mich im Bett zusammenrollte
und
Weitere Kostenlose Bücher