Gefährliche Stille
nicht gerade gehoben, dass eine ihrer Squaws, Sacajawea,
sich freiwillig erboten hatte, die Lewis-Clark-Expedition zur Pazifikküste zu
führen.
Eine Information über die Shoshonen
irritierte mich allerdings sehr: Ihre Nachbarn, die Komantschen, hatten sie zu
Beginn des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Pferd bekannt gemacht, und sie
hatten sich rasch für dieses Tier begeistert, das ihnen erlaubte, ihre Jagd-
und Fischgründe in Ost-West-Richtung von den Bighorn Mountains in Wyoming bis
zum Snake River in Idaho und in Nord-Süd-Richtung vom Yellowstone River bis zu
den Uinta Mountains in Utah auszudehnen. Ich hingegen hasste Pferde
schlichtweg. Die Viecher spürten sofort, dass sie mit mir machen konnten, was
sie wollten, und im Zuge meiner begrenzten Reiterfahrung war ich nicht nur
getreten, um- und abgeworfen worden, sondern einmal sogar regelrecht
gekidnappt, als ein widerspenstiges Biest mit mir meilenweit den Strand der
Half Moon Bay entlanggaloppiert war und sich dann geweigert hatte, zum
Reitstall zurückzukehren.
Die Religion der Shoshonen basierte auf
dem Glauben an einen Schöpfer, an Visionen und Träume und kam alljährlich in
der Zeremonie des Sonnentanzes zum Ausdruck. Na ja, das mit dem Schöpfer war
für mich noch offen, aber auf meine Träume verließ ich mich ebenfalls, was
intuitive Erkenntnisse in Ermittlungszusammenhängen anging. Diese Religion, so
hieß es, fördere Mut, Selbstvertrauen und Weisheit. Die Shoshonen verstünden
sich darauf, die Probleme des Lebens unter schwierigen und oft extrem widrigen
Umweltbedingungen zu bewältigen.
Weise war ich nicht, aber mutig und
selbstbewusst muss ein guter Ermittler sein. Und was schwierige und widrige
Umweltbedingungen betraf, so stellte ich mich diesen als Großstädterin jeden
Tag. Ja, unter solchen Bedingungen blühte ich geradezu auf.
In der Zeit des Reservatssystems wurden
die Shoshonen in drei Reservate getrieben: Wind River, im westlichen Kernland
von Wyoming; Fort Hall am Snake River in Südost-Idaho und Lemhi Valley in
Nord-Idaho. 1907 hatte man Letzteres geschlossen und die wenigen dort
verbliebenen Lemhi nach Fort Hall umgesiedelt — das Ende ihres jahrzehntelangen
Kampfes um das Recht, auf dem Land ihrer Vorfahren zu bleiben.
Das hieß, das Reservat, das Fenella
besucht hatte, war entweder Wind River oder Fort Hall gewesen. Ich ging ans
Bücherregal, nahm meinen Atlas heraus und suchte beide. Aus meiner
kalifornischen Sicht schienen sie ganz schön abgelegen, und ich dachte an den
Zeitaufwand und die Reiserei, die es mich kosten würde, meine Wurzeln
aufzuspüren.
Es war jetzt schon nach zehn, und John
hatte nicht zurückgerufen. Er hatte gesagt, er werde gleich nach der Arbeit zu Pas
Haus fahren, aber vermutlich war etwas Dringenderes dazwischengekommen. Oder
aber er hatte nichts gefunden und sah keinen Grund, mir das schleunigst
mitzuteilen. Wenn Letzteres der Fall war, was wäre dann der logische nächste
Schritt...?
Das Telefon klingelte. Ich sah auf die
Station: Das Handgerät war nicht da. Als sich der Anrufbeantworter gerade
einschalten wollte, fand ich das Handgerät auf dem Küchentisch, unter einem
Bündel von Kleidungsstücken, die ich herausgelegt hatte, um sie in die Reinigung
zu bringen.
John. »Tut mir Leid, dass ich jetzt
erst anrufe. Ein Kunde kam ins Büro, als ich gerade Schluss machen wollte, und
bestand darauf, mit mir essen zu gehen. Na, jedenfalls, jetzt bin ich in Pas
Haus. Da ist ein Karton mit Zeug, das aussieht, als hätte es Fenella gehört.
Was soll ich damit machen?«
»Kannst du’s gleich morgen früh per
FedEx herschicken?«
»Klar. Die Heiratsurkunde der
Urgroßeltern ist auch da, steckt in einer Familienbibel, in die seit Onkel Jims
Geburt niemand mehr was reingeschrieben hat. Urgroßmamas Mädchenname war
Tendoy.«
Tendoy. Das war mir irgendwo bei meiner
Lektüre begegnet.
Tendoy war von 1863 bis zu seinem Tod
1907 Häuptling der Lemhi-Shoshonen gewesen. Ein Büffeljäger mit engen Kontakten
zu den Weißen und einer Leidenschaft für deren Whiskey. Er war die treibende
Kraft hinter den Bemühungen der Lemhi, auf ihrem Territorium im Tal des Idaho
River zu bleiben. In Zeiten extremen Mangels, als Nahrungsmittel- und
Kleiderlieferungen der Regierung aus unerfindlichen Gründen an weniger
freundliche Stämme verteilt und den Lemhi vorenthalten wurden, hielt er sein
Volk zusammen und erreichte so schließlich die Errichtung eines kleinen
Reservats. Doch wie immer knauserte die Regierung:
Weitere Kostenlose Bücher