Gefährliche Stille
Das Land, das den Lemhi
zugewiesen wurde, ergab gerade mal einen Zehntelmorgen pro Person, gegenüber
eineinhalb Morgen in Fort Hall — bei weitem nicht genug für eine bäuerliche
Lebensform, wie sie die Staatsmacht dem Stamm mit allen Mitteln aufzwingen
wollte. Als die Regierung die Lemhi zur Übersiedlung nach Fort Hall drängte,
schwor Tendoy, das niemals zu tun, und nachdem er immer wieder bei
Regierungsbeamten in Idaho und Montana und sogar in der Bundeshauptstadt
vorstellig geworden war, hielt er sein Gelübde, indem er von seinem Pferd in
einen Bach fiel und an Unterkühlung starb — dank des Whiskeys, den skrupellose
Weiße den Indianern lieferten.
Als er sterbend in dem eisigen Bach
lag, mochte Häuptling Tendoy gedacht haben, dass dieser demütigende Tod nichts
war, verglichen mit der Demütigung seines Stammes durch die US-Regierung.
Ich stand in der Tür meines häuslichen
Arbeitszimmers und musterte den neuen iMac, der auf meinem altmodischen
Schreibtisch so deplatziert wirkte. Die Maschine schien mich zu rufen — ein
Sirenengesang in Cyber-Sprache.
Du und ich, wir sind doch jetzt
Freunde! Lass uns diese Freundschaft noch weiter ausbauen! Verdammt, warum hatte ich mich — aus
einem Anfall von Langeweile heraus — an den Macintosh herangemacht, den Hy in
unserem Häuschen in Mendocino County stehen hatte? Wenn ich nicht letzten
Sommer für diese verhängnisvolle Woche dorthin gefahren wäre, um den
Fortschritt der Arbeiten an unserem neuen Haus zu überwachen, dann wäre ich
immer noch rein und unverdorben.
Denk doch mal, wie schön wirs zusammen
haben könnten ! Und
warum hatte ich dann, wieder zu Hause, diesen iMac gekauft? Mich der sündigen
Lust hingegeben, Drucker und Software auszuwählen — ganz zu schweigen von der
Farbe? (Mandarine.) Und dann das Gerät mit nach Hause genommen, ihm ein nettes
Plätzchen geschaffen, meine Technik vervollkommnet, die phantastischen Kurven
der Datenautobahn beherrschen gelernt?
Ekelhaft, McCone. Einfach ekelhaft.
Komm her und spiel mit mir !
Verführt. Schändlich verführt.
Du kannst mit mir machen, was immer du
willst! Alles\ Ich
ging hin, drückte die Einschalttaste. Die Maschine gab ein fröhliches
Begrüßungsdingdong von sich, und der Bildschirm leuchtete auf.
Alles !
Nicht heute Nacht. Ist schon spät.
Alles ...
Auch einen Suchlauf nach lebenden
Verwandten von Mary McCone.
Komm jetzt !
Ich griff nach der Maus — ergab mich
der Technologie, von der ich geschworen hatte, mich nie auf sie einzulassen.
Telefonbuch/Gelbe Seiten. Telefonbuch
anklicken.
Ort & Staat. Fort Hall, Idaho.
Teilnehmer. Tendoy.
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Dreizehn Tendoys im Telefonbuch von Bingham
County. Ausdrucken.
Telefonbuch/Gelbe Seiten. Telefonbuch
anklicken.
Ort & Staat. Fort Washakie,
Wyoming.
Teilnehmer. Tendoy.
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Zwei Tendoys im Telefonbuch von Fremont
County. A
usdrucken.
Schon spät. Zu spät, um noch anzurufen.
Aber morgen...
Freitag,
8. September
8 Uhr 22
»Ich weiß nichts über irgendwelche
Tendoys. So hieß mein Vater, und der ist schon lange tot.«
»Gute Frau, wissen Sie, welche Uhrzeit
wir hier haben? Ich mache Nachtschicht und bin gerade erst ins Bett gekommen.«
»Häuptling Tendoy? Nie gehört.«
»Das ist ein häufiger Nachname. Soweit
ich weiß, hatte der Häuptling viele Nachkommen, aber die meisten von uns wissen
nicht viel über ihn.«
»Tut mir Leid, aber wir wollen keine
Telefonwerbung.«
»Ich hab mit meiner indianischen Seite
so wenig am Hut, ich weiß überhaupt nichts.«
»Ich glaube, Häuptling Tendoy hatte mit
einer seiner Frauen eine Tochter namens Mary, aber beschwören kann ich’s
nicht.«
»Warum versuchen Sie’s nicht mal bei
Dwight Tendoy, drunten in Nampa? Stammbaumforschung ist sein Hobby.«
»Ja«, sagte Dwight Tendoy, »der
Häuptling hatte eine Tochter namens Mary, mit seiner dritten Frau, Ta Gwah Wee.
Das Mädchen wurde 1888 von einem korrupten Indianerbeamten namens John Blaine
entführt. Sie sagen, sie war Ihre Urgroßmutter?«
»Ganz recht. Sie traf meinen
Urgroßvater im selben Jahr in Flagstaff und ging mit ihm nach Kalifornien.«
»Interessant. Man hat nie rausgefunden,
was aus ihr wurde, aber John Blaine wurde 1891 in der Nähe von Fort Hall
ermordet. Man nahm an, dass da zwei von Tendoys Söhnen die Hand im Spiel
hatten.«
»Mr. Tendoy, haben Sie eine Ahnung, ob
es jemanden gibt, der mir möglicherweise mehr über Mary erzählen
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