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Gefährliche Stille

Gefährliche Stille

Titel: Gefährliche Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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das jemals passieren
wird?«
    »Bestimmt. Eine Frage: Schenken Sie
gern?«
    »Sehr, lieber, als Geschenke zu
kriegen. Und ich schenke gern zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt, nicht aus
besonderem Anlass. Wenn ich etwas sehe, was genau das Richtige für jemanden
ist, kaufe ich’s und geb’s demjenigen sofort.«
    »Da haben Sie’s. Okay, worauf gründen
sich Ihre Freundschaften?«
    »...Auf wechselseitiges Vertrauen,
schätze ich. Eine Art stillschweigende Abmachung, dass es ein beiderseitiges
Geben und Nehmen ist. Manchmal gebe ich den Löwenanteil, manchmal die andere
Person, aber im Lauf der Zeit gleicht es sich aus. Ich bin sehr vorsichtig, mit
wem ich eine Freundschaft eingehe, aber wenn ich’s tue, dann ist es fürs
Leben.«
    »Sehen Sie? Ist alles genetisch. Und
jetzt lassen Sie uns wieder nach St. Ignatius zurückfahren. Es gibt da ein paar
Leute, mit denen ich Sie heute Abend gern bekannt machen würde.«

20 Uhr 05
     
     
    Die Leute waren Freunde und Verwandte
von ihm, insgesamt Dutzende von Menschen aller Altersstufen. Ort der Handlung
war das Restaurant eines Cousins, Anlass der siebzigste Geburtstag seiner
Großmutter.
    Auf langen Tischen türmte sich das
Essen: von Chips und Dips über Brathuhn bis hin zu getrocknetem Hirschfleisch
und Blaubeertörtchen. Es gab Limonade, Bier und Wein, und niemand wurde
betrunken und streitsüchtig, wie es bei McCone’schen Familienfesten durchaus
nicht selten vorgekommen war. Paare tanzten zu lauter Musik, Kinder rannten
durchs Gewühl, alles redete und lachte viel. Alle wussten, wer ich war und was
mich hierher geführt hatte, und so akzeptierten sie mich mit freundlicher
Zurückhaltung.
    Während Will mich herumführte und ich
die Namen und Gesichter zu speichern versuchte, konzentrierte sich meine
Aufmerksamkeit besonders auf die Frauen meiner Generation. Sie waren lebhaft
und rege und sprachen mit Leidenschaft über ihre Arbeit, ihre Familien und alle
möglichen Aktivitäten. Noreen führte zusammen mit ihrem Mann die Bäckerei, aus
der die Törtchen kamen; sie gab freimütig zu, süchtig nach Kuchen zu sein, und
redete davon, das Geschäft zu erweitern und ihren Leibesumfang zu reduzieren.
Gretchen, eine Menomini aus Wisconsin, leitete ein Vorschulprogramm und
diskutierte sachkundig mit Emi, der Leiterin eines Jugend-und-Familien-Dienstes,
über das Stellen von Finanzierungsanträgen. Violet war Weberin und redete mit
den Händen, als sie ihre Cape-Kollektion schilderte, die im ganzen Land von
Mode- und Kunsthandwerksboutiquen vertrieben wurde. Fran, von Beruf Lehrerin,
fragte mich, was ich von Elwood Farmer hielt, und erzählte enthusiastisch, was
er ihren Schülern alles Gutes getan habe. Janet war Schriftstellerin und hatte
eine Anthologie zur mündlich tradierten Geschichte ihres Stammes herausgegeben.
Sie trug mir ein paar kurze Passagen vor, und es klang wie Poesie.
    Als ich diesen Frauen zuhörte, fühlte
ich mich ihnen verwandt, aber gleichzeitig in zunehmendem Maß verwirrt. Sie
waren meinen Freundinnen zu Flause sehr ähnlich, aber die Themen, die sie
beschäftigten — bikulturelle Erziehung, Wahrung der alten Traditionen, Kampf
gegen Alkoholismus und Gewalt in der Ehe — , hatten sich mir in der
nicht-indianischen Welt noch nie gestellt. Als Weiße, als Angla, hatte ich
mich, wenn überhaupt, mit Mainstream-Problemen auseinander gesetzt. Wenn ich
jetzt einen Platz innerhalb meines Volkes finden wollte, würden diese Menschen
von mir erwarten, dass ich mich für ihre Anliegen interessierte und mich ebenso
leicht zwischen zwei Welten hin und her bewegte wie sie. Aber würde ich das
können?
    Nein. Das ging nicht. Im Moment
jedenfalls nicht, und vielleicht überhaupt nie. Ich fühlte mich in einem
kulturellen Niemandsland, ohne jede Garantie, jemals wohlbehalten auf einer der
beiden Seiten anzukommen.

Sonntag,
10. September

9 Uhr 00
     
     
    »Bitte, kommen Sie rein«, sagte Elwood
Farmer.
    Ich betrat sein kleines Wohnzimmer. Es
hatte einen Kaminofen und war einfach möbliert, mit Kiefernholzmöbeln und
Flickenteppichen. An den Wänden hingen gerahmte Bilder. Nicht von Farmer; der
kindlichen Malweise nach zu urteilen, stammten die meisten wohl von Schülern.
Es passte zu meinen Informationen über diesen Mann, dass er seine eigenen Werke
nicht so wichtig nahm wie die der Kinder, die er unterrichtete.
    Er deutete auf einen der beiden
sitzkissengepolsterten Schaukelstühle vor dem Ofen, und ich setzte mich hin. Er
zündete sich eine Zigarette an,

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