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Gefährliche Stille

Gefährliche Stille

Titel: Gefährliche Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Werbeagentur. Bin dort geboren und aufgewachsen, war aber immer
mindestens zweimal im Jahr hier im Reservat, einmal zum Geburtstag meiner
Grandma — der morgen ist — und dann zum Powwow am vierten Juli.«
    »Powwow? Ich dachte, das gibt’s nur im
Film und als Touristenveranstaltung.«
    »Ganz und gar nicht. Waren Sie noch nie
bei einem?«
    »Nein. Wie ist das?«
    »Na ja, es ist eine rituelle Feier — unsere
Art, unsere Traditionen aufrechtzuerhalten. Und es ist ein Mordsspaß: alle
möglichen traditionellen Tänze und Wettspiele, Berge von Essen, Freunde und
Verwandte, die man seit dem Vorjahr nicht mehr gesehen hat. Das Powwow macht
einen richtig stolz drauf, Indianer zu sein.«
    »Mir fällt auf, dass Sie ›Indianer‹
sagen, statt amerikanischer Ureinwohnern«
    »Die meisten von uns bevorzugen ›Indianer‹
oder den Stammesnamen. Oder einfach ›Ureinwohner‹. ›Amerikanische Ureinwohner‹
sagen vor allem die Medien, die Akademiker und die Politisch-Korrekten. Ich
habe schon alles Mögliche gehört, von ›eingeborene Amerikaner‹ über ›Eingeborene‹
bis hin zu ›indianische Ureinwohner Amerikas‹. Aber warum soll man so
umständlich sein, wenn’s ein Wort auch tut?« Er hielt inne, sah mich
stirnrunzelnd an. »Sie reden wie eine Angla. Wie in aller Welt sind Sie
aufgewachsen?«
    »Das erkläre ich Ihnen später. Aber
zunächst mal: Was können Sie mir über Elwood Farmer erzählen? Dwight Tendoy
nannte ihn ›ungewöhnlich‹.«
    »Das ist er auch. Elwood ist in Fort
Hall geboren und aufgewachsen; seine Mutter wurde von der Regierung dorthin
umgesiedelt, nachdem der alte Häuptling gestorben war. Er ist aber schon früh
dort weggekommen, ging an die Ostküste, um Kunst zu studieren. Er ist ein
toller Künstler, hat jede Menge Geld in der Welt des Weißen Mannes gemacht, als
indianische Kunst bei den Reichen chic wurde. Seine Frau hat er in New York kennen
gelernt — Leila, hier aus St. Ignatius. Sie war auch Künstlerin.«
    »Und wann sind die beiden dann hierher
gezogen?«
    »Ende der siebziger Jahre. Warum, weiß
ich nicht. Elwood hat sein Blockhaus eigenhändig gebaut, aber am Tag, bevor sie
dort einziehen wollten, kam Leila bei einem Autounfall ums Leben. Elwood war
eine Zeit lang völlig durchgedreht — hat getrunken, sich geprügelt, sogar
versucht, das Haus abzubrennen. Dann war er plötzlich von einem Tag auf den
anderen total trocken. Fing an, sich mit den alten Lebensformen zu
beschäftigen. Inzwischen hält er sich an all die alten Bräuche der Shoshonen,
und er tut auch eine Menge für die Indianer im ganzen Staat.«
    »Inwiefern?«
    »Reist herum und macht Kunst-Workshops
an Schulen. Er ist ein großartiger Lehrer. Die Kids lieben ihn, fahren total
auf die Projekte ab, die er ihnen vorgibt. Und die Schulen kostet das keinen
Cent; er stellt das Material und unterrichtet gratis.«
    »Klingt wirklich sehr beeindruckend.«
Farmers Geschichte war für mich auf persönlicher Ebene interessant: Er hatte
sich erst in reiferem Alter auf seine indianischen Wurzeln besonnen. War das
auch für mich noch möglich? Letztes Frühjahr hatte ich einen Hawaiianer kennen
gelernt, dessen Leben zutiefst in den alten Glaubensüberzeugungen seines Volkes
verankert war, und ich war verblüfft gewesen, weil mir das so ein bizarres,
abergläubisches Festhalten an einer längst überholten Vergangenheit schien.
Jetzt jedoch löste das, was ich über Farmers späte Erweckung erfuhr, in mir
eine gewisse Erregung aus.
    Will sah auf die Uhr. »Hey, ich mache
wohl besser, dass ich zu meiner Großmutter zurückkomme. Sonst denkt sie noch,
ich bin ein versoffener, nichtsnutziger Indianer.«
    Die Art, wie er mir diese abschätzige
Formulierung hinwarf, ließ mich die Stirn runzeln.
    »Hören Sie«, sagte er, »wenn man so
drangsaliert worden ist wie wir, sollte man schon Humor haben. Wenn ich so
etwas sage, mache ich mich damit über die weißen Rassisten lustig, die das
aufgebracht haben. Also, wann gehen Sie wieder zu Elwood?«
    »Ach, das wissen Sie auch schon? Gleich
morgen früh.«
    »Gut. Morgen Nachmittag möchte ich
Ihnen etwas zeigen. Und ich will Ihre Geschichte hören.«
    »Welche Geschichte?«
    »Warum Sie wie eine Angla reden und
denken.«
    »Bis dahin bin ich vielleicht schon
weg, Will.«
    Er lächelte und schüttelte den Kopf.
»Nein, sind Sie nicht.«
    »Wieso?«
    »Verlassen Sie sich drauf. Ich kenne
Elwood Farmer.«

Samstag,
9. September

10 Uhr 55
     
     
    »Und deshalb bin ich hier.«
    Ich

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