Gefährliche Stille
Als ich zurückkam,
saß Hy in Jimmys Pick-up. »Seine Versicherungskarte ist abgelaufen, und er isst
jede Menge Dove-Bars«, rief er mir zu. »Der Motor ist schon relativ kühl, aber
ich würde sagen, der Wagen ist in der letzten Stunde noch gefahren worden. Ich
weiß nicht, wie’s dir geht, McCone, aber in meinen Augen sieht das hier gar
nicht gut aus.«
»In meinen auch nicht. Aber wenn wir’s
dem Sheriffs Department melden, werden dies anders sehen. Jimmy ist ein
erwachsener Mensch und hier in der Gegend bekannt — vermutlich nicht gerade als
ein Ausbund an Tugend. Sie werden sagen, er hat sich betrunken und ist im Suff
irgendwohin gewandert; sie werden sagen, wir sollen bis morgen früh warten, da
wird er schon wieder im Café auftauchen, verkatert und noch giftiger als sonst.«
»Also würde ich sagen, wir fahren
zurück und tun genau das.«
Unter unserer Bungalowtür war eine
Botschaft für Hy durchgeschoben worden: »Gage Renshaw anrufen.« Gage Renshaw:
mein einstiger Widersacher, der mich angeheuert hatte, Hy zu finden, damit er
ihn töten konnte. Jetzt Hys Partner, da er und Dan Kessell Hy zum Teilhaber
ihres internationalen Sicherheitsunternehmens gemacht hatten. Das Verhältnis
zwischen den dreien — uns vieren, so besehen — würde nie das Einfachste sein,
aber über die Jahre hatten wir zu einem praktikablen Arrangement gefunden, RKI
vermittelte mir oft Aufträge, und Hys Teilhaberschaft erlaubte ihm, für sehr
wenig Arbeit einen gewissen Prozentsatz der beträchtlichen Firmengewinne
einzustreichen und gleichzeitig die RKI-Ressourcen für seine
Menschenrechtsaktionen zu nutzen. Doch wenn sie seine Dienste benötigten, war
der Preis potenziell sehr hoch: Die Situationen, auf die er spezialisiert war,
waren immer gefährlich.
Nachdem er mir den Zettel gezeigt
hatte, blieb ich erst einmal an der Bungalowtür stehen. Dann flüchtete ich
mich, während er zurückrief, ins Bad, wo ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser
befeuchtete und mich auf diese Wendung des Geschehens einzustellen versuchte.
Als ich wieder ins Zimmer trat, legte Hy gerade auf; seine Körperhaltung war
angespannt, und zwischen seinen Augenbrauen standen tiefe Konzentrationsfalten.
Schon jetzt war er weit weg von diesem Bungalow — und von mir. »Pete Silvado
wird sich dran gewöhnen müssen, dass eine Frau diesen Pick-up fährt«, sagte er,
als er mich wahrnahm. »Ein Top-Manager von einem unserer großen Multis ist
heute Nachmittag gekidnappt worden. Gage schickt eine unserer Maschinen, um
mich abzuholen, in Newell, drüben am Tule Lake.«
Ich wollte fragen, wo der Top-Manager entführt
worden war, wohin Hy fliegen würde, aber mir war klar, dass das wenig Sinn
hatte. Höchstwahrscheinlich wusste er es selbst noch nicht. Gage und Dan gaben
heikle Informationen nur dann und erst dann weiter, wenn der andere sie
unbedingt brauchte — selbst wenn dieser andere ihr Partner und wichtigster
Spezialist war.
Ich fragte: »Wie viel Zeit bleibt uns
noch?«
»Zwei, drei Stunden.«
Nicht genug, um all das zu sagen, was
es zu sagen galt, für den Fall, dass bei diesem Job etwas ganz furchtbar schief
lief. Aber wir fassten diese Dinge nie in Worte — unsere Art, uns in die
schützende Illusion von Normalität zu hüllen.
Ich lächelte ihn an. »Das reicht.«
Sonntag,
17. September
7
Uhr 21
Das Telefon weckte mich, aber als ich
den Hörer an mein Ohr gefummelt hatte, hörte ich nur das Freizeichen. Als ich
gerade wieder aufgelegt hatte, ertönte das Klingeln eneut, und ich merkte, was
es war: eine Spottdrossel, draußen in den Manzanita-Büschen. Jetzt brachte sie
etwas anderes aus ihrem Repertoire: den schrillen Pfiff, mit dem Mr. Easley
seinen Terrier zu rufen pflegte.
Das Bett fühlte sich leer und kalt an
ohne Hy, zumal die Erinnerungspuren seiner Hände und seines Körpers auf meinem
noch so präsent waren. Ich streckte versuchsweise eine Hand unter der Decke
hervor, fand die Luft eisig; ich hatte vergessen, die Heizung aufzudrehen, als
ich gestern Abend aus Newell zurückgekommen war. Nachdem ich noch etwa zehn
Minuten so dagelegen hatte, flitzte ich zur Kaffeemaschine und unter die
Dusche. Dann zog ich mich an, bis auf die Schuhe, schnappte mir eine Tasse
Kaffee und nahm sie mit ins Bett, um sie zu trinken, während ich meine
Morgentelefonate tätigte. Zuerst das Cattleman’s Café. Angela, die Kellnerin,
nahm ab. Als ich nach Jimmy fragte, sagte sie: »Er ist nicht da, und ich bin am
Rotieren, um einen
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