Gefaehrliche Tiefen
würden? Wütend starrte sie die Gruppe an, rief sich aber gleich wieder zur Ordnung. Die japanischen Touristen freuten sich vermutlich darüber, wie niedlich die kleinen Schildkröten waren und wie winzig im Vergleich zu ihren riesigen Eltern. Sie musste dringend ihre Vorurteile überdenken.
Sam ging auf den Ausgang zu und stellte erleichtert fest, dass der Mann im schwarzen Tanktop bei dem Baum verharrte. Als sie einen Stand erreichte, der damit warb, dass jeglicher Profit der Darwin Station zugutekam, blieb sie stehen und kaufte sich ein türkisfarbenes T-Shirt mit einer Landkarte der Galapagosinseln. Für Chase suchte sie ein groÃes burgunderfarbenes mit einer Gruppe Leguane aus. So hatte sie wenigstens etwas, das sie ihm mitbringen konnte, wenn sie sich in ein paar Tagen trafen.
Falls sie sich in ein paar Tagen überhaupt trafen.
Ohne Pass kam sie in kein Flugzeug. Und wo zum Teufel steckte Chase überhaupt? Sie hatte am Morgen ihre E-Mails gecheckt und den Anrufbeantworter auf neue Nachrichten überprüft. Sie biss sich auf die Lippe. Würde irgendjemand auf die Idee kommen, sie zu verständigen, falls etwas passierte? Weder wohnte sie mit ihm zusammen, noch war sie seine Ehefrau.
Ehefrau
. Sam musste an Elizabeth Kazaki denken.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der T-Shirt-Verkäufer.
Rasch bezahlte sie die Kleidungsstücke und trat aus dem Laden. Dann verlieà sie das Gelände der Darwin Station und machte sich auf den Weg zum Hotel
Aurora
. In der stuckverzierten Mauer der winzigen Pension befand sich ein kleines Fenster, das einen Blick in die Lobby freigab. Als Sam daran vorüberging, erhaschte sie einen Blick auf Mrs Vintners auffällige rote Locken. Die Inhaberin stand zusammen mit einem schwarzhaarigen Teenager hinter dem Empfangstresen. Doch bis Sam den Empfangsraum betreten hatte, war dort nur noch der Teenager.
»Señora Vintner ist nicht da«, erwiderte das Mädchen auf Sams Frage. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Das ist seltsam. Ich könnte schwören, dass ich sie durch das Fenster gesehen habe.«
Das Mädchen schaute verblüfft und lächelte Sam dann höflich an.
»Ich wollte mit ihr über Dr. Kazaki reden. Er und ich haben vor ein paar Tagen hier übernachtet.«
Das Mädchen sah sie ausdruckslos an. Entweder verstand sie nicht genügend Englisch, wusste nichts von dem Vorfall â oder hatte das perfekte Pokergesicht. »Señora Vintner ist nicht zu sprechen«, sagte sie.
Sam trat seitlich neben den Empfangstresen, um einen Blick in das dahinterliegende Büro zu werfen. Ein kleiner Schreibtisch mit Schubladen, Regale voller Aktenordner und ein Kopiergerät â falls Vintner sich nicht unter dem Schreibtisch verkrochen hatte, musste sie durch die Hintertür entflohen sein. Hier würde Sam offensichtlich keine Informationen bekommen.
Als sie das Hotel verlieÃ, fuhr gerade ein Reisebus vorüber und stieà ruÃige Abgase aus. In geringer Höhe flog über ihr ein Flugzeug, das vom Baltra-Airport im Norden gestartet war. Wenn sie da doch bloà drinsäÃe!
Dan war tot. Die Polizei hatte ihren Pass. Das amerikanische Konsulat schien sich nicht für sie einsetzen zu wollen. Dass irgendjemand in der Stadt mit Informationen rausrücken oder sie gar unterstützen würde, schien unwahrscheinlich. Sam war auf sich allein gestellt und musste unbedingt ihren Pass zurückbekommen.
Um sie herum sah sie nur staubige Gebäude und dürre Bäume. Auf ihrer Touristenkarte war ein Rechteck eingezeichnet, das die Aufschrift
Municipio
trug. Das klang, als könnte es das Rathaus oder zumindest etwas Ãhnliches sein.
Mit einem raschen Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass sie nicht verfolgt wurde, dann machte sie sich auf den Weg zu dem Gebäude. Bereits eine StraÃe später wurde deutlich, dass sie sich nicht mehr im touristischen Viertel befand. Obwohl vor den Geschäften die gleichen hell bemalten Recyclingcontainer standen, die sie rund um die Darwin Station gesehen hatte, quollen die Behälter vor unsortiertem Müll regelrecht über. Auf den StraÃen lagen Orangen- und Bananenschalen, zerfetzte Plastiktaschen und Strohhalme. Vor einem Gebäude mit dem Schild
ClÃnica
stand eine lange Menschenschlange, die bis um die Ecke reichte. Sam kam an ein paar kleineren Märkten vorüber, wo nur ein bisschen traurig aussehendes
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