Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
den Unterlagen hoch, die ich gerade zu lesen versucht habe. Offenbar kann der hochgewachsene Priester meine Verwirrung sehen, denn er lacht und zeigt mit dem Finger auf seine Brust.
„Ich bin Priester, wie du weißt, und damit Seelsorger. Das Angebot gilt auch für Mitarbeiter der Gemeinde.“
„Danke“, sage ich und schlucke. Himmel, sogar mein Hals fühlt sich jetzt heiß an. Ich greife unwillkürlich wieder zu meinem imaginären Collier und versuche, die Gedanken zu verdrängen. Unmöglich, dass ich unserem Priester von meinen Problemen erzähle. Davon, dass ein alter Bekannter mich seit Tagen vom Leben abhält, weil in jeder freien Minute alle meine Gedanken nur um ihn kreisen. Davon, dass mein ganzer Körper sich lustvoll verkrampft, wenn ich mir nur seine blauen Augen vorstelle, seine schlanken Finger. Die Muskelstränge auf dem Rücken, die ich nur in einem selbst gedrehten Videofilm gesehen habe.
„Es ist wirklich nichts, ich bin nur ein bisschen müde. Frühjahrsmüdigkeit vielleicht.“
Ich versuche ein Lächeln, doch an Reverend Morris’ Stirnrunzeln sehe ich, dass er mir nicht wirklich glaubt.
„Bald ist Ostern. Du solltest die freien Tage zur Erholung nutzen, Emma.“ Väterlich legt er mir die Hand auf die Schulter und drückt kurz zu. Ich nicke dankend und versenke mich zum Schein wieder in das Papier vor mir. Die Buchstaben rasseln vor meinen Augen vorbei, ohne dass ich auch nur den Sinn eines einzigen Satzes erfassen kann.
Seufzend hebe ich den Kopf wieder und starre aus dem Fenster. Hinter dem Gemeindehaus, in dem auch die Redaktion des Gemeindeblattes sitzt (also ich), ist ein kleiner, quadratischer Garten angelegt. Er besteht zum Großteil aus grünem, saftigen Rasen, den Reverend Morris hegt wie ein botanisches Gewächshaus. Plötzlich ist mir danach, in die Sonne zu gehen. Der Schein trügt, denn es ist nicht wirklich warm draußen, aber immerhin leuchtet der Himmel in verschiedenen Blauschattierungen und das Licht würde mir gut tun. Der Winter war trüb und lang, ich bin froh, dass sich die Nebel in London endlich verzogen haben und ich morgens bald nicht mehr im Dunkeln aufwache.
Das leise Pling des Emailprogramms reißt mich aus der Lethargie. Der Absender – ein kryptischer Fakename – ist mir unbekannt, was selten vorkommt, denn irgendwie hat es die Gemeinde geschafft, unsere Emailadressen von Spam freizuhalten. Bei Gelegenheit muss ich mal ein Wort mit dem Admin wechseln und ihn fragen, wie zum Teufel er das hinkriegt, ohne dass gleichzeitig lauter wichtige Mails im Nirwana verschwinden.
Als ich die Nachricht aufrufe, erstarre ich kurzzeitig. Dann beschleunigt sich mein Herzschlag.
„Liebe Emma,
ich habe Deine Absage schweren Herzens zur Kenntnis genommen. Trotzdem möchte ich einen weiteren Versuch wagen. Ich bin nicht mehr der unsichere Jason von früher, den eine Abfuhr aus der Bahn geworfen hätte (nicht, dass ich jemals eine bekommen hätte, wie du weißt).
Ich bin hartnäckig, und wenn ich weiß, was ich will, lasse ich nichts unversucht. Ich will Dich , Emma, und ich werde Dich heute Nachmittag aus dem Büro abholen lassen. Ich möchte, dass Du mir die Chance gibst, Dir meine Welt zu zeigen. Du kannst danach immer noch entscheiden, nicht auf mein Angebot einzugehen, und wir werden sicherlich eine Lösung für das Halsband finden (Du könntest den Kaufpreis bei mir abarbeiten ..... Scherz!).
Bis später, Dein Jason“
Jetzt schlägt mein Herz so schnell, dass mir fast schwindelig wird. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich in einer guten Stunde offiziell Feierabend machen kann. Wenn ich mich beeile und mich bei Reverend Morris wegen Unpässlichkeit entschuldige, kann ich hier verschwinden, bevor Jason mir auflauert.
Meine Finger zittern, während ich den Laptop zuklappe und meine Notizen in die Handtasche werfe.
„Reverend Morris?“, rufe ich, die dünne Jacke überwerfend. „Reverend Morris, ist es okay, wenn ich heute früher gehe? Mir geht es nicht so gut, ich ...“
„Emma?“, ertönt die Antwort von nebenan, dann höre ich seine Schritte. Er sieht noch immer besorgt aus, und ich sollte mir jetzt besser etwas ausdenken, das ihn beruhigt.
„Ich habe meine Periode, und da fühle ich mich immer unwohl“, sage ich und beiße mir hastig auf die Unterlippe, um meine Lüge nicht zu verraten. Himmel, ich wünschte, ich wäre eine bessere Lügnerin. Doch die Ausrede verfehlt ihre Wirkung nicht. Ich sehe, wie sich die Wangen des Priesters leicht
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