Gefaehrliche Versuchung
nicht so tief in sie eindringen, dass er den Weg hinaus womöglich nie mehr fand.
Und jetzt würde er dank Minette noch länger warten müssen.
»Harry?«
Er erschrak. Ihm wurde bewusst, dass er mit den Gedanken abgeschweift war. Der Anblick dieser wachen grünen Augen reichte aus, damit er hart wurde, obwohl ihm das nicht guttat. Nicht im Augenblick jedenfalls. Wahrscheinlich für die kommenden paar Tage nicht. Verdammt.
»Ja, Kate. Ich möchte wissen, was du Drake erzählen wolltest.«
Sie lächelte und drehte sich zu Drake um. »›Ist die erste Frucht nicht die süßeste, meine Liebe?‹«, sagte sie.
Einen Moment lang herrschte Schweigen im Raum. Die Worte waren wohlbekannt. Harry konnte sie hören. Er konnte sie beinahe vor sich sehen. Außerdem sah er den sanften Schwung von Kates Brüsten und dachte darüber nach, sie in den Mund zu nehmen.
Er blinzelte. Hustete. Jetzt war nicht die Zeit für so etwas. Er musste sich konzentrieren.
»Hol’s der Teufel«, stieß Chuffy unvermittelt hervor und sprang auf. »Gracechurchs Flasche! Die Geliebte.«
Kates Lächeln war beinahe glückstrahlend. »In der Tat, Chuffy. Diese Worte – ›Ist die erste Frucht nicht die süßeste, meine Liebe?‹ – bilden die Inschrift über dem Porträt in Jacks Flasche. Dem Porträt von der Frau, die Jack Gracechurchs und Diccans Geliebte war: die allgegenwärtige Minette. Drake hat die Flasche auf dem Anwesen der Gracechurchs an sich genommen.«
Mit einem flüchtigen Kuss auf Harrys Stirn erhob Kate sich und verschwand aus seinem Blickfeld.
»Hey!«, protestierte er und spürte den Verlust tief in seinem Innersten.
»Sei still«, hörte er sie hinter sich sagen, »ich will mich um dich kümmern. Lenke mich nicht ab.«
Und ohne weitere Umschweife nahm sie anscheinend das, was Mudge auf Harrys Rücken gepresst hatte, und drückte es mit aller Kraft auf die Wunde.
»Aua!«, heulte Harry auf, als sie eine neue Welle des Schmerzes auslöste.
»Sei ruhig, du Mimose«, sagte sie. Ihre Stimme klang unnatürlich fröhlich. »Möchtest du, dass alle deine Freunde dich für einen Weichling halten?«
»Mir ist es egal, was meine Freunde denken. Das tut weh!«
Sie hauchte einen Kuss auf seine Schulter. »Besser?«
Er schnaubte missmutig. »Das ist zumindest ein Anfang.«
»Aber was bedeutet er?«, wollte Drake wissen.
»Der Vers?«, fragte Chuffy. »Muss er denn etwas bedeuten?«
»Bist du sicher, dass nicht noch etwas in die Flasche eingraviert war?«, erkundigte sich Drake.
»Nicht dass ich wüsste. Ich habe nichts gesehen«, erwiderte Kate. »Ich habe den Spruch jedoch wiedererkannt.«
»Was ist mit der Krawattennadel des Bischofs?«, fragte Drake. »War das ein Irrtum?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, ich denke, es ist ein Teil desselben Gedichtes. Gott, ich wünschte, mir würde einfallen, wo ich es gelesen habe. Denn beide Verse sind ein bisschen verändert.«
»Woher weißt du das?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht fällt es mir auf, wenn ich es noch einmal sehe. Wo ist die Flasche?«
»Ich habe sie Baron Thirsk ausgehändigt«, entgegnete Drake. »Er wollte, dass seine Leute sich das ansehen.«
Harry konnte hören, dass eine Kutsche sich dem Haus näherte und anhielt. Offensichtlich kam der Arzt. Harry hasste Ärzte fast so sehr wie Verletzungen. Mehr als ein Mal war er einer Amputation nur deshalb entgangen, weil er nicht geschlafen hatte. Die Bastarde waren viel zu schnell damit, Körperteile abzutrennen. Tatsächlich war es beim letzten Mal Ian Ferguson gewesen, der die Chirurgen verscheucht hatte, indem er ein schottisches Kriegsgeschrei ausstieß, bei dem sich das Lazarettzelt mit einem Schlag geleert hatte.
Bei dem Gedanken an Ian erinnerte Harry sich an etwas. Die Flasche.
»Verdammt«, knurrte er. »Ian.«
»Was ist mit ihm?«, fragte Drake.
»Wann hast du dem Baron die Flasche übergeben?«
Drake dachte einen Moment lang nach. »Ich weiß es nicht mehr. Letzte Woche, glaube ich.«
»Und der Anschlag auf Wellingtons Leben fand direkt im Anschluss daran statt«, stellte Kate fest und verstand augenblicklich.
Harry nickte und bereute es sofort, als sein Rücken wieder zu schmerzen begann. »Genau.«
»Ihr könnt nicht glauben, dass Thirsk irgendetwas damit zu tun hat«, erwiderte Drake.
»Ich nehme an, dass er irgendwie zur Regierung gehört?«, fragte Kate.
»Dazu kann ich offiziell nichts sagen«, entgegnete Drake.
»Ich aber«, sagte Harry. »Die Regierung
Weitere Kostenlose Bücher