Gefaehrliche Versuchung
wer ihn mit einem Messer angegriffen hat«, beteuerte Kit Braxton. »Ich schwöre es. Ich bin in der Nähe gewesen, um sicherzustellen, dass niemand versucht, Lady Kate etwas anzutun.«
»Wer ist mit einem Messer angegriffen worden?«, fragte jemand aus der Menge.
Kate hörte die Antwort nicht. Mittlerweile schrien die Menschen durcheinander und rannten aus Angst vor dem mysteriösen Attentäter aufgescheucht davon. Die Rakes hatten sich um Harry und Kate versammelt, damit sie in der Aufregung nicht überrannt wurden. Das unwirkliche Licht der Gaslaternen warf seltsame Schatten auf die Gesichter der Menschen und brach sich in den Juwelen der Damen. Chuffy stand auf der Straße und fuchtelte mit den Armen wie ein Cricketwerfer, und Bea warf Kate mit Bienen bestickte Taschentücher zu wie Schneeflocken. Harry versicherte allen, dass es ihm gut ginge, wirklich – selbst als seine Stimme – wie die Farbe in seinem Gesicht – langsam schwand. Und Kate, die mit der einen Hand einen Bausch aus Taschentüchern auf den Schlitz auf der Rückseite von Harrys Mantel presste, war mit einem Mal vollkommen verstört. Jemand hatte ihr gerade eine ziselierte silberne Flasche in die freie Hand gedrückt. Sie konnte nicht aufhören, sie anzustarren.
»Oh, mein Gott«, hauchte sie. »Ich habe mich geirrt. Die ganze Zeit über hatten wir den Vers.«
Kapitel 20
»Es ist nichts«, beharrte Harry wieder. Selbst als sie ihn fast in sein Zimmer tragen mussten, spielte er seinen ernsten Zustand noch herunter. Finney empfing sie an der Eingangstür und schickte sofort einen Diener los, der einen Arzt holen sollte. Mudge stand in Harrys Zimmer und hielt bereits eine Schüssel mit heißem Wasser in den Händen. Sobald sie im Zimmer waren, fing Kate an, Harry auszuziehen, und hörte erst wieder auf, als sie seinen blutigen Mantel, seine Weste und sein Hemd zur Seite gelegt hatte.
»Es ist eine Stichwunde, alter Junge«, stellte Drake fest, der sich über Harrys Rücken gebeugt hatte. »Verdammt nah an der Lunge. Kannst du atmen?«
»Ich spreche ja, oder?«
Aber er stöhnte jedes Mal, wenn er sich bewegte. Drake hatte recht: Harry war dem Tod um weniger als einen Zentimeter entronnen. Vielleicht wurde die Situation sogar noch kritischer, wenn er weiterhin so viel Blut verlor. Sein Hemd und sein Jackett waren blutgetränkt, und der saubere Schnitt unterhalb seiner Rippen blutete noch immer. Kate hatte sich nach Waterloo zwei Monate lang um die Verwundeten gekümmert. Doch nie war ihr so übel und schwindelig geworden wie beim Anblick von Harrys blutigem Rücken.
»Leg dich hin, Harry«, sagte sie, als sie vor ihm stand. »Du schwankst so sehr, dass mir ganz anders wird.«
»Du wirst hier jetzt nicht hysterisch, oder?«, fragte er mit einem schwachen Lächeln. »Mudge hat mir beim Rasieren schon schlimmere Wunden zugefügt.«
»Das stimmt, Major«, erwiderte Mudge gelassen, während er die Wunde reinigte. »Einmal hätte ich Ihnen fast die Nase abgeschnitten, Sir. Das war am Morgen, nachdem Sie beim Colonel gewesen waren, um Karten zu spielen. Sie konnten einfach nicht stillhalten.«
Der Junge klang so ruhig, dass man hätte meinen können, ihm würde das alles nichts ausmachen – wenn man nicht den Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkt hätte. Kate sah das Aufblitzen von Schmerz und Angst in seinen Augen, als wäre er derjenige, der verletzt worden war.
Merde, dachte sie und wünschte sich, sie würde nicht so sehr zittern. Sie wollte nicht ihr ganzes Leben lang Angst um Harry haben. Ihr gefiel die harte, hohle Furcht nicht, die sich schlagartig in ihrem Magen ausgebreitet hatte, als sie miterlebt hatte, wie er zu Boden gegangen war. Sie mochte auch das instinktive Bedürfnis nicht, ihn so fest in ihren Armen zu halten, wie es nur ging, als könnte sie ihn so nachträglich beschützen. Sie mochte es nicht, krank vor Angst zu sein.
»Mich amüsiert das alles nicht länger, meine Herren«, verkündete sie, zog ihre blutverschmierten Handschuhe aus und warf sie in die Ecke. »Wir brauchen dringend eine andere Art von Unterhaltung.«
Sie legte die Ohrringe und Armbänder ab. Kate nahm kaum wahr, wie Bivens sie von der Kommode nahm. Sie war damit beschäftigt, Mudge dabei zu helfen, Harry auf die Seite zu drehen.
»Harry«, fragte sie und kniete sich neben ihn, damit sie seine Hand halten und ihm in die Augen blicken konnte, »meinst du, du kannst mit dem Sterben noch so lange warten, bis ich mir ein passenderes Kleid für eine
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