Gefaehrliche Versuchung
wenn ihr irgendetwas passiert? Es muss doch einen Weg hinein geben.«
Bivens’ Augen huschten zu einem kleinen Sekretär in der Ecke.
»Sie haben einen Ersatzschlüssel«, stellte er fest und streckte die Hand aus. »Geben Sie ihn mir. Ich muss sichergehen, ob es Ihrer Herrin gut geht.«
Bivens streckte die Brust heraus wie eine Glucke. »Meiner Herrin geschieht nichts, von dem ich nichts weiß.«
Harry machte sich nicht die Mühe, ihr darauf eine Antwort zu geben. Er hielt ihr einfach die Hand entgegen, bis Bivens mit einem empörten Schnauben den Schlüssel holte und ihm gab. »Sie weiß nicht, dass ich ihn habe«, sagte sie. »Ich gehe immer durch das Boudoir hinein.«
Harry ging ebenfalls durch das Boudoir und kam an dem berüchtigten Spiegel vorbei, um zur Schlafzimmertür zu gelangen.
Es war das erste Mal, dass er in das Allerheiligste vorgelassen worden war. Er musste zugeben, dass er überrascht war. Jeder andere Raum in Kates Haus war in geschmackvollen Pastelltönen dekoriert. Selbst das Boudoir war in einem blassen Blau und Silber gehalten. Aber Kates Schlafzimmer, ihr persönlicher Rückzugsort, war ausschweifend mit Rosen geschmückt. Das rötliche Licht des Sonnenuntergangs wärmte die Vorhänge aus Chintz, die Decken und eine Chaiselongue. Die Wände und Teppiche waren in sanften, angenehmen Grüntönen und in Rosé, Rot und Weiß gehalten. Echte Rosen waren in einer großen Vase arrangiert, und ihr leichter Duft erfüllte die Luft. Ein seltsames Frauengemach. Eher das Zimmer eines jungen Mädchens als das einer Verführerin.
Das Einzige, was ein bisschen aus dem Rahmen fiel, war das breite Bett. Es war nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, in der Mitte des Raumes aufgestellt, sondern in die hinterste Ecke geschoben. Er verstand es nicht, bis er schließlich Kate erblickte. Sie lag auf der Seite und hatte den Rücken zur Wand gedreht.
Harry war nicht bewusst gewesen, dass er sich bewegt hatte, bis er vor dem Bett stand. Gott , dachte er, und seine Brust schmerzte bei Kates Anblick. Wie konnte sie nur so zierlich und zerbrechlich aussehen? So jung? Ihr Haar war zu Zöpfen gebunden, und schon jetzt lagen einige Strähnen, die sich gelöst hatten, auf ihren erröteten Wangen. Ihre Wimpern waren lang und schwarz, ihre Lippen üppig. Sie hätte wieder fünfzehn sein können, wenn nicht ihre Stirn gerunzelt gewesen wäre und sie die Hände ganz nah an den Körper gezogen hätte. Wie sie so dalag, sah sie aus, als hätte sie eine Abwehrhaltung eingenommen und würde sich im Schlaf gegen einen Angriff wappnen. Das versetzte Harry einen Stich ins Herz.
Er hätte sich nie vorstellen können, dass er das Verlangen verspüren würde, Kate zu beschützen. Er hatte sie nie als gefühlvoll und verletzlich genug angesehen, um seinen Schutz zu benötigen. In seinen Augen hatte Kate Ecken und Kanten und war kühl, sodass sich ein Mann bei ihr nicht wohlfühlen konnte. Und doch überkam ihn unvermittelt das Gefühl, dass unter der anscheinend unnachgiebigen Oberfläche ein gefährlich weiches Herz lauerte.
Er empfand den überwältigenden Drang, sie aufzuwecken. Er wollte Antworten auf all die unverständlichen Fragen fordern, die in seinem Kopf herumwirbelten wie Blätter in einem Sturm. Er hörte noch immer ihre Stimme, die so voller Verachtung gewesen war. Du hast es Murther überlassen, es zu Ende zu bringen. Sie konnte damit nicht gemeint haben, dass sie als Jungfrau in die Ehe mit Murther gegangen war. Es war grausam genug, zu wissen, welches Leben sie gelebt haben musste. Aber wenn sie damit meinte …
Nein. Er hatte das Wort ihres Vaters. Und außer seinem eigenen Vater vertraute er keinem Mann mehr.
Am Ende spielte es auch keine Rolle. Was allerdings eine Rolle spielte, war das Versprechen, das er gerade gegeben hatte. Er hatte versprochen, sie zu ehren, sie zu schützen. Für sie da zu sein.
Oh Gott. Was hatte er getan? Erst jetzt wurden ihm die Konsequenzen des Tages bewusst. Er hatte eine Frau geheiratet, der er nicht vertraute. Eine Frau, die ihn mehr als ein Mal betrogen hatte. Und sie hatte ihm soeben erklärt, dass sie niemals das Bett mit ihm teilen würde.
Und doch wusste er, als er sie allein in dem riesigen Bett sah, zum ersten Mal in seinem Leben, dass sie ihn brauchen würde. Nicht nur seine Stärke und Kraft, sondern seine Geduld, seine Unterstützung, seinen gesunden Menschenverstand. Und wie sollte er ihr das geben, wenn er sich auf der anderen Seite der Welt befand?
Aber wie
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