Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
der am Ende auch noch sein Leben verlor.
Einschüchterung war ihm zur zweiten Natur geworden. Er lebte in einer primitiven, brutalen Welt. Er wusste, wie man sich dort an der Spitze hielt: indem man noch brutaler als die anderen war. Doch hier, bei Grace, würde ihm keine seiner Waffen helfen können. Er wollte sie nicht einschüchtern, er wollte – musste – sie verführen.
Schritt Nummer eins bei einer Verführung: Sorge dafür, dass die Frau keine Angst vor dir hat.
Also verhielt er sich vollkommen still und hielt behutsam ihre Hand, weder zu locker noch zu fest. Das Einzige, was sich an ihm bewegte, waren seine Lungen. Er war Grace nahe genug, um sie riechen zu können, aber nicht so nahe, dass er den Privatbereich verletzt hätte, den jedes Lebewesen brauchte.
So standen sie also da. Drake, vollkommen still, beobachtete sie in aller Ruhe. Langsam beruhigte sich ihre Atmung und sie richtete sich auf. Auf irgendeiner Ebene, die tiefer reichte, als Worte beschreiben konnten, wurde ihr klar, dass sie ihre lebenswichtigen Organe nicht vor ihm schützen musste, denn genau das war es gewesen, was sie getan hatte, als sie die Arme so fest um den eigenen Leib geschlungen hatte.
Seine Bewegungslosigkeit beruhigte sie. Jemand, der einem Böses will, gibt seine Absichten mit winzigen, beinahe unmerklichen Signalen preis: Die Muskeln spannen sich an, um sich auf den Angriff vorzubereiten. Er lockerte jeden einzelnen Muskel absichtlich, verbannte jeden Gedanken aus seinem Kopf und öffnete sich ihr gegenüber – dies war etwas, das er sonst bei niemandem tat.
Es funktionierte. Die Ader in ihrem Hals begann langsamer zu pochen, ihre Hand entspannte sich in seiner.
„Kommen Sie“, sagte er schließlich, wobei er sanft an ihrer Hand zog. „Das Abendessen wartet auf uns. Lassen Sie uns gehen, bevor es kalt wird.“
Grace blieb noch einen Moment lang stehen und blickte ihm in die Augen. Was auch immer sie darin suchte, sie musste es wohl gefunden haben. „Okay“, sagte sie leise und machte einen Schritt auf ihn zu.
Drake sah stirnrunzelnd auf ihre Füße. „Sie sind barfuß. Tut mir leid, aber ich besitze keine Hausschuhe, die Ihnen passen würden. Vielleicht hat ja eine der Angestellten ein Paar Schuhe für Sie.“
Sie lächelte. „Machen Sie sich bloß keine Sorgen. Der Boden ist ja zum größten Teil mit Teppichen bedeckt, und ich bin von zu Hause daran gewohnt, barfuß zu gehen. Das ist in Ordnung.“
Er war noch nicht ganz davon überzeugt, obwohl er zugeben musste, dass er ihre hübschen bloßen Füße nur zu gerne ansah. Aber sie könnte sich erkälten. Er nahm sich vor, Shota daran zu erinnern, einige Paar Hausschuhe von Ferragamo auf die Liste der Dinge zu setzen, die er für sie einkaufen sollte.
Gemeinsam gingen sie über den großen Korridor. Er gab ihre Hand nicht frei und sie entzog sie ihm nicht. Drake war von ihrer Präsenz an seiner Seite so gefesselt, von dem Gefühl ihrer zarten Hand in seiner, dass er beinahe schon vor der Esszimmertür angekommen war, ehe ihm klar wurde, dass dies das allererste Mal war, dass er Hand in Hand mit einer Frau ging.
Was für eine außergewöhnliche und intime Verbindung – in mancherlei Hinsicht sehr viel intimer als Sex. Man konnte eine Frau ficken, die einem gleichgültig war. Kein Problem. Aber man hielt nicht ihre Hand. Die Hand einer anderen Person zu halten, war ein Zeichen eines intimen Bandes, des Vertrauens und der Zuneigung.
Noch waren sie nicht so weit, aber das würden sie irgendwann sein. Sie mussten es bald sein.
„Bitte nach Ihnen“, sagte er, als er ihr die Tür aufhielt. Sie blickte zu ihm auf. Beruhigt durch das, was sie auf seinem Gesicht wahrnahm, betrat sie den Raum.
Shota hatte sich selbst übertroffen. Dank seiner erstaunlichen Intuition hatte er verstanden, dass es sich nicht um ein Geschäftsessen handelte. Er hatte Drakes bestes Porzellan und, wie es schien, sein gesamtes Tafelsilber aus den Schränken geholt. Drake hatte keine Ahnung, um welches Fabrikat es sich bei den Porzellantellern handelte. Als sie in Manhattan angekommen waren, hatte er Shota einfach beauftragt, das Beste zu kaufen, und das hatte er getan. Erlesene weiße Teller mit silbernem Rand harmonierten mit Kristallgläsern, und cremeweiße Kerzen brannten in silbernen Kerzenleuchtern. Zusammen mit einigen wenigen Lampen bildeten sie abgesehen von dem riesigen prasselnden Feuer die einzige Beleuchtung in dem gewaltigen Raum.
Der Tisch wirkte einladend und
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