Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
bemerkte sie die sorgfältig gefalteten schwarzen Kleidungsstücke auf einem der Schränke. Als sie den weichen Stoff auseinanderfaltete, wusste sie endlich, was ein Gi war: einer dieser pyjamaartigen Anzüge, die sie aus Martial-Arts-Filmen kannte. Er bestand aus dicker, fester Seide.
Grace warf einen Blick auf ihre Kleidungsstücke auf dem Fußboden: verdreckt, blutig und zerrissen. Sogar ihre Unterwäsche. Schon der Gedanke, eines dieser verschmutzten Kleidungsstücke wieder anzuziehen, widerte sie an. Sie zuckte die Achseln und zog Jacke und Hose an. Er hatte recht, dies war vermutlich das Einzige aus seinem Kleiderschrank, was ihr passte. In den Filmen, die sie gesehen hatte, waren die Ärmel dreiviertellang, aber diese bedeckten ihre Hände. Also krempelte sie sie hoch und wickelte die Jacke um ihren Körper. Die Hose war zu lang, aber nicht so lang, dass die Gefahr bestand, darüber zu stolpern. Der Hosenbund mit dem Durchziehband war perfekt. Sie betrachtete ihre durchnässten Schuhe und beschloss, lieber barfuß zu gehen.
Okay. Zeit, das Bad zu verlassen.
Jetzt erst wurde ihr klar, dass die Zeit im Badezimmer für sie eine Art Atempause dargestellt hatte. Es gab so viele Dinge, mit denen sie sich würde auseinandersetzen müssen, sobald sie in das Schlafzimmer hinaustrat – einschließlich Drake und dieser verrückten Anziehungskraft, die er auf sie auszuüben schien.
Sie wusste nichts über ihn. Die panische Angst, die sie im Aufzug überkommen hatte, war inzwischen verschwunden, aber ein tiefer liegendes, grundsätzliches Gefühl des Unbehagens blieb bestehen. Niemand wusste, wo sie sich befand, und jetzt erst begriff sie wirklich, dass sie nicht nach Hause gehen konnte . Sie war Drake vollkommen ausgeliefert. Und die Tatsache, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, machte ihre Lage nicht besser – ganz im Gegenteil.
Sie nahm all ihren Mut zusammen, legte die Hand gegen die weiße Tür und drückte sie auf.
7
Drake hörte, wie sich die Badezimmertür öffnete. Dampf strömte aus dem Bad und umwirbelte Grace in silbrigen Ranken, als sie durch den Türrahmen trat.
Gott, wie schön sie war!
Und verängstigt.
Er erhob sich – die intuitive Reaktion eines Mannes in der Gegenwart einer schönen Frau.
Ihre ganze Körpersprache gab deutlich zu verstehen, wie unwohl sie sich fühlte. Ihre Augen waren riesig und starr auf ihn gerichtet. Offenbar wusste sie immer noch nicht wirklich, ob er Freund oder Feind war. Sie hatte die Arme um ihren Körper gelegt, wie um sich selbst zu trösten. Ihre Hände hatte sie in den Achselhöhlen versteckt, um die Tatsache zu verbergen, dass sie zitterten. Sie war barfuß und hatte einen Fuß auf den anderen gestellt. Ihre Füße waren ungewöhnlich hübsch: blasse Haut, schmal und hoch gewölbt.
Drake ging zu ihr und zog eine ihrer Hände aus ihrem Versteck. Langsam und ohne den Blick von ihren Augen abzuwenden hob er ihre zitternde Hand an den Mund.
Ihre Augen weiteten sich.
Er lächelte sie an. „Es scheint, als ob es Ihnen schon ein bisschen besser ginge. Darüber bin ich sehr froh. Ich habe etwas zu essen für uns heraufbringen lassen. Sie hatten einen schlimmen Schock, und warmes Essen wird Ihnen guttun.“
Drake ließ ihre Hand wieder los und verharrte bewegungslos. Das war das Einzige, was er tun konnte. Sie musste sich wie Alice fühlen, als sie in den Kaninchenbau gestürzt war, nur dass Grace nicht im Wunderland, sondern im Horrorland gelandet war. Er hatte Glück, dass sie ihn nicht anschrie und lautstark nach der Polizei verlangte.
Drake wusste, dass es von größter Wichtigkeit war, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie auf jede erdenkliche Weise an sich zu binden. Gerade hatte die lange Reise begonnen, die sie zusammen unternehmen würden, und die einzige Möglichkeit, sie dazu zu bewegen, den ersten Schritt zu tun, war, vollkommen still zu bleiben und sich ihr zu öffnen.
Drake hatte sein ganzes Leben damit zugebracht, Furcht einflößenden Männern Furcht einzuflößen. Zuerst aus Verzweiflung und zur Selbstverteidigung. Später, als seine Stärke, sein Prestige und sein Reichtum wuchsen, war es zur Taktik geworden. Er war gut darin. Er war stark, schlau und reich. Völlig gnadenlos. Diese Eigenschaften umgaben ihn mit einer Aura, die für gewöhnlich schon vollkommen ausreichte, um jedem Mann, der ihm gegenüberstand, zu signalisieren, ihn in Ruhe zu lassen. Die Art von Mann, die das nicht begriff, war normalerweise dumm, ein typischer Verlierer,
Weitere Kostenlose Bücher