Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
mit Cordero zusammengetan hatte, war Cordero zu blöd, um aufzuhören, und Rutskoi kannte Drake und wusste, dass er nicht eher ruhen würde, bis Rutskoi erledigt war, also war er gezwungen, in die Offensive zu gehen. Diese Bedrohung würde sich nicht einfach in Luft auflösen.
Und wenn Drake den nächsten Angriff überstand, würde es noch einen weiteren geben, und danach noch einen, mit denen er fertig werden musste. Bis jetzt hatten sie ihn nie erwischt. Und das würden sie auch nicht, solange er allein war. Aber inzwischen war Grace in sein Leben getreten, und sie würden sie erwischen. Gar keine Frage.
In Grace’ schönem Kopf gab es nichts, das ihr dabei helfen könnte, sich selbst zu verteidigen. Nicht die Spur eines Überlebensinstinkts. Dort gab es nichts als Freundlichkeit, eine einzigartige Sicht auf die Welt, um deren Formen und Farben zu erfassen, und das ständige Streben danach, diese Welt in ihren eigenen Werken neu zu interpretieren. Aber sie besaß keine Überlebensstrategie, keine Vorstellung, in welchem Ausmaß Verrat diese Welt bestimmte und wie man dagegen kämpfte. Ein bestimmter Typ Mann würde Grace ansehen und nichts als das Wort Opfer auf ihrer Stirn geschrieben sehen.
Wenn er sich Sorgen um sie machen musste, würde er aus dem Gleichgewicht geraten. Ja, das war er ja schon längst. Schon der Gedanke, dass Rutskoi und Cordero in diesem Augenblick möglicherweise ihre Entführung planten – und das mithilfe eines Verräters in seinen Reihen – , machte ihn verrückt.
Er tippte auf die schmale Einkerbung in ihrem Kinn und atmete ihren Geruch tief ein. „Ich wusste, dass du wahrscheinlich verrückt werden würdest, wenn du nicht malen oder zeichnen kannst, also habe ich dir so viele von den Farben und dem ganzen anderen Zeug besorgt, wie ich konnte. Wenn irgendetwas fehlt oder du noch mehr brauchst, musst du nur fragen. Der andere Haufen da, das sind Kleider. Hier gilt dasselbe: Lass mich wissen, was du brauchst, und es gehört dir. Du wirst für eine ganze Weile hierbleiben müssen, und ich möchte es dir so bequem wie möglich machen. Ich habe Bücher, Musik, Filme. Wenn du etwas willst, was ich nicht habe, frag mich oder drück auf die Gegensprechanlage, und es ist innerhalb von einer Stunde bei dir.“
„Drake … “
Er gab ihr rasch einen Kuss. „Ja?“
Sie wirkte besorgt. Er versuchte, die kleine Sorgenfalte zwischen ihren Augenbrauen mit dem Daumen auszulöschen, und wünschte, er könnte die Bedrohung genauso leicht zum Verschwinden bringen.
„Was meinst du, wie lange muss ich wohl hierbleiben?“
Für immer. Oder bis wir verschwinden.
„Überlass die Sorge einfach mir. Ich beginne jetzt gleich, daran zu arbeiten. Du brauchst dich nur zu entspannen.“ Er stand auf, denn wenn er bliebe, würde er sie auf direktem Weg ins Schlafzimmer zurückbringen, aber das konnte er sich nicht leisten, nicht bei alldem, was er heute Morgen noch erledigen musste.
Also stand er widerwillig auf, löste ihren Griff und durchquerte das Zimmer. Er hasste es, sie verlassen zu müssen. An der Tür hielt er inne und drehte sich um. Sie hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Er deutete auf die bunten Schachteln des einen Haufens. „Dort findest du auch Unterwäsche. Aber … Grace?“
Ihr Gesicht war ein blasses Oval, ihre Augen glitzerten. „Ja?“
„Bitte zieh sie nicht an.“
Rutskoi hatte vor vielen Jahren eine Geliebte gehabt. Eine Schauspielerin. Unvergleichlich schön, aber im Bett eine totale Niete. Viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ihm Lust zu bereiten. Rutskoi hatte sie trotzdem weit über ihr Verfallsdatum hinaus behalten, aufgrund ihrer Schönheit, in dem Glauben, dass es früher oder später im Bett schon besser laufen würde, aber das passierte nicht.
Inzwischen konnte er sich kaum noch an ihren Namen erinnern und hielt die drei Monate, die sie mit ihm zusammengelebt hatte, für einen Fehler. Aber etwas Gutes hatte er bei all diesem sexuellen Frust doch mitgenommen. Sie hatte ihm einen professionellen Einblick in die hohe Kunst der Verkleidung gewährt.
Er hatte fasziniert zugesehen, wie sie sich fürs Theater zurechtgemacht hatte, während sie ihm all die Tricks und Kniffe ihres Berufs erklärte. Wie man seine Hautfarbe oder die Form der Nase oder der Wangenknochen veränderte. Wie eine Änderung der Haarfarbe – sei es durch Färben oder durch eine Perücke – oder der Haarlänge die Wahrnehmung veränderte.
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