Gefährlicher Sommer
Kühlschrank, zwei schiefe Schränke, die sich wie haltsuchend aneinanderlehnten. Und - es wimmelte von Kindern! Zwei, drei, fünf, sieben Kinder zählte Angie! Alle jünger als Christopho, kleine, magere, dunkeläugige Kinder. Sie krabbelten übereinander und untereinander, fielen hin, schrien, standen auf und verstummten wieder. Einige saßen ganz still da, andere schienen ununterbrochen in Bewegung. Sie sahen Christopho und das fremde Mädchen ohne großes Interesse an.
In der Mitte des Raumes, an einem Tisch, saß ein Mann. Angie erkannte sofort, dass das Christophos Vater sein musste, so frappierend war die Ähnlichkeit. Ein großer, starker Mann, aber mit einem seltsam versunkenen, abweisenden Gesichtsausdruck. Lasst mich in Ruhe, sagte seine Miene, lasst mich nur alle allein! Er hielt eine Bierflasche umklammert.
Christopho schob Angie wieder hinaus und schloss die Tür. Sie standen einander in dem grell erleuchteten Flur gegenüber, und Angie bemerkte, dass Christopho völlig verspannt aussah. Zum ersten Mal bedauerte sie es wirklich, dass sie nicht dieselbe Sprache sprachen. Er hatte ihr von sich erzählen wollen, aber da sie ihn nicht verstand, hatte er sie hierhergeführt, damit sie sehen konnte, wo er herkam. Er wollte nicht, dass sie sich falsche Vorstellungen von ihm machte. Ob seine Mutter noch lebte? Wer kümmerte sich sonst um die vielen kleinen Geschwister? Und um den betrunkenen Vater, der nicht so aussah, als erwarte er noch viel vom Leben!
Wie schmuddelig das Haus war, wie viel Dreck überall!
Die Familie brauchte sicher dringend Geld, und das musste Christopho abends in der Disko verdienen. Wie lange hatte er wohl geschuftet, um sich das Moped zusammenzusparen? Wie selten war wohl ein sorgloser Nachmittag am Strand für ihn?Das hatte er ihr klarmachen wollen: Sie kamen aus zwei Welten. Sie war ein wohlhabendes deutsches Mädchen, das sich um nichts zu sorgen brauchte als um Schulnoten und gelegentlichen Ärger mit Eltern und Freunden. Und er war ein armer spanischer Junge, der für seine siebenköpfige Geschwisterschar und seinen schwermütigen Vater da zu sein hatte.
Im Nachhinein schien es ihn zu bekümmern, dass Angie die Tatsachen kannte. Die verkrampfte weiße Linie um seinen Mund verriet es.
Sie konnte ihm nicht sagen, was sie fühlte, aber mitten in dem grässlichen, dreckigen Flur nahm sie ihn in die Arme und hielt ihn fest an sich gedrückt.
Noch in der Nacht besprachen die Freunde die Geschehnisse. Nur Manuel war immer noch wütend, dabei hatte Nina zum Schluss deutlich weniger gelahmt, und Pat glaubte auch zu fühlen, dass die Schwellung zurückgegangen war. Aber Manuel wollte nicht einlenken. »Wer nicht reiten kann, gehört nicht auf ein Pferd! Und euer kindisches Geschwätz wegen der Papageien höre ich mir schon gar nicht an!«
Zu Hause angekommen, verschwand er wortlos in seinem Zimmer. Brigitte musste die völlig aufgelöste Diane trösten. »Du wirst sehen, morgen ist schon wieder alles in Ordnung. Er hängt nun einmal besonders an Nina. Ich bin sicher, er entschuldigt sich bei dir und trägt dir nichts nach!«
Trotzdem war Diane niedergeschlagen. Pats Augen hingegen funkelten. Sie war fest davon überzeugt, den Tätern vom Loro-Parque auf die Spur gekommen zu sein, und konnte es vor Unternehmungslust kaum aushalten.
Chris hatte sich zu den Mädchen gesellt, er hatte keine Lust, Manuels schlechte Laune abzukriegen. Kurze Zeit später erschien auch Angie, keineswegs so fröhlich anzusehen wie sonst. Sie blieb überrascht in der Tür stehen. »Nanu? Ist das eine geheime Konferenz? Wo ist Manuel?«
Pat gab einen schnellen Bericht über die Ereignisse des Abends. »Und siehst du«, schloss sie, »ich bin ganz sicher, dass man diesen merkwürdigen Einsiedlerhof dringend unter die Lupe nehmen sollte. Gleich morgen. Was haltet ihr davon?«
»Morgen bin ich mit Christopho ...«, begann Angie, die nicht viel anderes mehr im Kopf hatte.
Pat schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Mein Gott, was ist denn nur mit euch los? Wo ist euer Unternehmungsgeist geblieben? Diane bläst Trübsal, weil Manuel sauer auf sie ist, und Angie faselt nur noch von ihrer Eroberung aus der Eisdiele. Verrückt kann man ja werden mit euch! Ich glaube, die Sonne bekommt euch nicht!«
»Nun reg dich nicht auf!«, Angie musste erst den Bann abschütteln, in dem sie nach diesem besonderen Abend stand. Pats lebhafte Stimme und ihr aufgeregtes Gesicht verfehlten nicht ihre
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