Gefährliches Spiel der Versuchung
weiteren Verzögerungen auf unserer Reise zu rechnen haben. Beste Pferde, vertrauenswürdige Kutscher und zahlreiche andere Vorräte, die wir brauchen könnten, werden wir bekommen. Wir müssen nur danach fragen.«
»Vögel aus einem Gefieder«, murmelte Orlov.
»Genau.«
»Sehr klug. Und wie viele Nester hat Seine Lordschaft rund um den Globus verteilt?«
»Das hat keinerlei Bedeutung für unseren gegenwärtigen Auftrag«, entgegnete Shannon knapp. »Wenn in unserer Nähe eine weitere geflügelte Lady auftaucht, über die Sie Bescheid wissen müssen, werde ich es Sie wissen lassen.«
»Ah.«
Langsam ermüdete es sie, dass er ständig unbekümmert die Brauen hochzog. Aber Shannon behielt ihren Ärger unter Kontrolle. »Genau wie ich Sie auch in die anderen wichtigen Arrangements des Marquis' einweihen werde, jetzt, wo unsere Ankunft kurz bevorsteht. Ich habe einen Brief von Angus McAllister an Lady Octavia bei mir, in dem er erklärt, warum er sich für einen Lehrer aus London und für eine Gouvernante entschieden hat.«
»Wollen Sie sagen, dass der Witwe die Wahrheit präsentiert wird?«
Jetzt war es an Shannon, sarkastisch die Brauen hochzuziehen. »Natürlich nicht. Der Brief ist eine überzeugende Fälschung. McAllister hat überhaupt keine Ahnung, welche Absichten wir hegen oder in welch gefährlichen Umständen er sich bewegt.«
»Überzeugend genug, um seine Mutter hinters Licht zu führen?«
»Lynsleys Agenten verrichten ihre Arbeit ganz ausgezeichnet«, erwiderte Shannon mit einer Spur Stolz in der Stimme.
»Das glaube ich nur zu gern.« Ein unaufrichtiges Kompliment? Shannon erlaubte sich einen raschen Seitenblick auf Orlovs Profil, aber diesmal gab seine Miene nichts zu erkennen. »Vielleicht sollte ich mich mit den Einzelheiten vertraut machen. Und mit den anderen Dokumenten, die unsere Mission betreffen.«
Das war eine verständliche Bitte, eine, an die sie selbst hätte denken können. »Es gibt ein paar Karten, die Sie sich anschauen sollten, einige Skizzen des Hauses und des Anwesens. Ich hatte damit gerechnet, dass wir während der Kutschfahrt reichlich Zeit haben, das Material durchzusehen«, meinte Shannon entschuldigend. »Aber natürlich können Sie auch jetzt einen Blick hineinwerfen.« Nach einem Blick auf das Achterdeck drehte sie sich zur hinteren Ladeluke. »Wir treffen uns in einer Viertelstunde.«
»Ein Stelldichein?« Obwohl sein Grinsen wegen der Seekrankheit nur mehr wie ein blasses Zerrbild wirkte, hatte sie das Gefühl, dass ihr innerlich doch ein wenig mulmig wurde. »Ich bin entzückt.«
»Das müssen Sie nicht«, murmelte sie im Vorbeigehen. »Es dreht sich rein ums Geschäft und nicht ums Vergnügen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde verdunkelten seine Augen sich zu einem stürmischen Blau, in dem weiße Schaumkronen zu wirbeln schienen. Aber so schnell der Sturm gekommen war, so schnell legte er sich auch wieder. »Als ob ich daran erinnert werden müsste, dass unsere Verbindung nicht im Himmel geschmiedet worden ist.«
Orlov zählte die Minuten. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf den Tisch, was so unheilvoll klang wie eine tickende Zeitbombe.
Verfluchter Mist! Er musste um jeden Preis verhindern, dass diese Frau ihm förmlich unter die Haut kroch. Ihm gefiel die Lage genauso wenig wie ihr. Aber ihr Ärger schien sich an etwas Tieferem zu entzünden als nur an einer Unstimmigkeit über die Strategie.
Es war persönlich. Leidenschaftlich. Er zog eine Grimasse. So war es doch immer mit den Frauen! Ihr Geist schien nach demselben Prinzip zu funktionieren wie ein Chronometer - ein bestechender Mechanismus aus ineinandergreifenden Zahnrädern und empfindlichen Hebeln. Verworren und vollkommen unverständlich für den gewöhnlichen Sterblichen.
Er hatte nicht absichtlich dafür gesorgt, dass sie ihn falsch verstand. In dem brutalen Spiel, in das sie beide verstrickt waren, gab es zwar nur wenige, dafür aber unumstößliche Spielregeln. Strikte Geheimhaltung gehörte dazu. Und ein Agent, der die Grundlagen des Spiels nicht beherrschte, hätte nicht mehr lange zu leben. Ihre Vorwürfe waren ungerechtfertigt.
Orlov rieb sich über die Schulter. Nein, er verlangte keinen Orden für das, was er getan hatte. Aber, um aufrichtig zu sein - ein Hauch Dankbarkeit wäre auch nicht schlecht, dachte er insgeheim und war nicht in der Lage, die Erinnerung daran abzuwehren, wie überraschend weich ihre Lippen sich auf seinen angefühlt hatten. Nach Gewürzen und nach
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