Gefährliches Talent: Kriminalroman
meine, ich habe ihn
gesehen
. Es gibt einen. Ich habe ihn heute Morgen eine Stunde lang begutachtet.«
Geoff lachte herzlich. »Ach, das beweist doch gar nichts.«
»Wie meinst du das?«
»Mein liebes Kind, ist es dir denn gar nicht in den Sinn gekommen, dass man Kataloge genauso leicht fälschen kann wie Bilder? Sogar noch viel leichter.«
Das war ein gehöriger Schock. Daran hatte sie tatsächlich nicht gedacht. Ein gefälschter
Katalog
? »Aber Geoff, den Katalog habe ich nicht in irgendeiner schäbigen Galerie gefunden – oder in einer schicken Galerie –, sondern im Museumsarchiv. Im streng überwachten Archiv des Southwest Museum of Twentieth-Century American Art.«
»Ach so, verstehe«, sagte er verschmitzt. »Du meinst also, alles, was man in einem Kunstmuseum so findet, muss echt sein. Automatisch, sozusagen.«
»Nein, natürlich nicht, aber der Katalog hatte gut vierzig Seiten und jede war einem anderen Bild gewidmet, mit Fotos, Provenienz, Angaben zur Technik. Willst du behaupten, das war alles gefälscht?«
»Nicht unbedingt. Nur die Angaben, die du gesucht hast.«
»Was? Aber wie …«
»Selbst wenn der ganze Katalog echt ist, was er wahrscheinlich auch ist, kann doch die Seite mit diesem speziellen Bild gefälscht sein. Hast du daran gar nicht gedacht?«
»Was?«, sagte sie wieder matt. »Ich verstehe es einfach nicht. Es war genau das Bild, das ich gesehen habe. Ich habe es mir heute Morgen noch angeschaut. Die Maße stimmten genau überein, die …«
»Natürlich stimmte alles. Zuerst wurde das Bild gemalt. Dann wurde es fotografiert. Dann vermessen. Und erst
dann
hat man die Seite hergestellt: mit dem richtigen Foto, den richtigen Maßen, erfundener Provenienz und einer kurzen Beschreibung. Danach kam der einzige knifflige Teil, nämlich irgendwie ins Archiv zu kommen und die entsprechende Seite in dem vorher ausgewählten, echten Katalog gegen die falsche Seite auszutauschen.«
»Aber Geoff, die Seiten waren nummeriert und hatten das gleiche Layout: gleichgroße Bilder, dieselbe Schrift und so. Eine neue Seite wäre doch aufgefallen.«
»Ja, aber deswegen ist die Vorauswahl ja so wichtig. Für diesen Coup muss man zweimal ins Archiv. Beim ersten Besuch sucht man eine Seite in einem Katalog aus und fotografiert sie heimlich – beide Seiten natürlich, oder alle vier, falls es sich um ein Quartformat handelt. So können die Schwindler Format, Layout und alles, was auf der Rückseite und den anderen Seiten zu sehen ist, kopieren. Beim zweiten Besuch wird die alte Seite entfernt und die neue, veränderte eingefügt: die Seite mit dem ›neu entdeckten‹ Bild. Ganz einfach, aber wirklich clever, findest du nicht? Dass jemand was aus dem Museum mitgehen lassen will, darauf ist man vorbereitet. Aber dass jemand etwas ins Museum schmuggelt, darauf kommt ja keiner.«
Sie dachte ein paar Sekunden darüber nach. Kein Wunder, dass Archivare wie Clyde Moody so wachsam ihre Kataloge behüteten,wenn sich Leute einschlichen, um sie heimlich zu »verändern«. Aber wie in aller Welt hätte jemand das unter Moodys wachsamen Blicken fertigbringen sollen? Wirklich ganz schön clever.
»Das klingt, als wärst du mit dieser ›Vorgehensweise‹ recht vertraut, Geoff«, bemerkte sie trocken.
»Ich habe davon gehört«, antwortete er vage.
»Wie dem auch sei, es klingt nicht sehr wahrscheinlich. Viel zu kompliziert.«
»Wenn es wahrscheinlich klingen würde, hätte man mit der Masche wohl kaum Erfolg, oder? Also, dann lass mich raten: Die Galerie gibt’s nicht mehr, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Ein anonymer Verkäufer.«
»Ja, stimmt auch.«
»Die Angaben zur Provenienz sind, sagen wir mal, eher spärlich.«
»Ja, das kann man so sagen.«
»Der Galerist weilt nicht mehr unter uns oder ist aus irgendeinem anderen Grund unerreichbar und kann die Angaben nicht bestätigen.«
»Nun …«
»Und bei alledem«, fragte er vorsichtig, »da hast du nicht daran gedacht, die Katalogseite wenigstens oberflächlich zu untersuchen? Hatte sie ein Wasserzeichen? Und wenn ja, war es anders als auf den anderen Seiten? Was ist mit dem Glanz oder der Farbdurchdringung? Und …«
»Nein, Geoff, daran habe ich nicht gedacht«, sagte sie entnervt. »Es mag dir vielleicht seltsam erscheinen, aber obwohl ich deine Tochter bin, versuche ich normalerweise nachzuweisen, dass ein Bild echt ist, und nicht, dass es gefälscht ist. Mein Blick ist offensichtlich nicht ausreichend geschult für die Feinheiten des
Weitere Kostenlose Bücher