Gefährliches Talent: Kriminalroman
arbeiten Sie schon lange hier?«, fragte Alix.
»Fast zwanzig Jahre.«
»Können Sie sich zufällig noch an einen Gast namens Henry Merriam erinnern? Er hat hier regelmäßig Kurse besucht. Außerdem hatte er mal eine Galerie in Albuquerque, die Galería Xanadu.«
Clyde Moodys Freundin aus Albuquerque hatte gemeint, er wäre schon über zwanzig Jahre tot. Sie sei sich ziemlich sicher, hatte Moody gesagt. Das ließ aber noch eine kleine Hoffnung. Zwar nur eine klitzekleine, aber da sie schon mal hier war, konnte sie auch fragen.
»Natürlich erinnere ich mich«, sagte Barb. »Er war erst vor ein paar Monaten hier. So ein netter alter Herr.«
Alix war überrascht. »Vor ein paar Monaten …?«
Barb nickte. »Im August«, versicherte sie ihr. »Vor zwei Monaten, fast auf den Tag genau. Da stand er genau da, wo Sie jetzt stehen.«
Sie konnte ihr Glück gar nicht fassen. »Wissen Sie, wo ich ihn erreichen kann?«
»Nicht in dieser Welt, tut mir leid. Er ist verschieden. Dabei war er so ein lieber alter Kerl.«
Alix seufzte. Pech gehabt. Aber zu erfahren, dass er erst zwei Monate tot war, war besonders schmerzlich. »Wann ist er denn genau gestorben?«, fragte sie eher aus Höflichkeit als aus echtem Interesse.
»Ich habe am Tag davor noch mit ihm geredet.« Sie nickte gedankenversunken. »Genau. Wissen Sie, er hatte mal eine Kunstgalerie. Das ist lange her. Und es gab irgendwelche Missverständnisse. Es ging darum, ob er ein bestimmtes Bild verkauft hat, glaube ich. Ich weiß auch nicht. Jedenfalls wollte er nach Santa Fe fahren, um die Sache zu klären. Ich glaube, es war Santa Fe, vielleicht auch Albuquerque. Nun, er hatte ein schwaches Herz, wissen Sie? Und er hatte einen Herzinfarkt. Am ungünstigsten Ort, den man sich vorstellen kann. Ausgerechnet auf dem Highway 84. Da, wo die vielen Kurven sind. Oben in den Bergen, wo die Straße am Chama River entlangführt. Wahrscheinlich sind Sie auf dem Weg hierher selbst da langgefahren.«
»Allerdings«, sagte Chris. »Ich hätte fast selbst einen Herzinfarkt bekommen.«
»Ja, ich fahre da auch nicht gern lang. Man weiß nicht, ob er einen Herzinfarkt hatte, weil er über den Felsrand gefahren ist, oder über den Rand gefahren ist, weil er einen Infarkt hatte, jedenfalls soll er tot gewesen sein, bevor das Auto unten aufkam. In gewisser Weise war es ein Segen. Er war sehr unglücklich, seit seine Frau an Alzheimer erkrankt war und er sie, na ja, Sie wissen schon, in ein Heim stecken musste.« Sie lächelte nachdenklich. »Irgendwie seltsam. Wissen Sie, was das Letzte war, das er zu mir gesagt hat?«
»Nein«, sagte Alix. »Was denn?«
»Na ja, eigentlich hat er’s nicht zu mir gesagt, sondern am Telefon, und es war auch nicht das Letzte, was er gesagt hat, aber beinahe. Er hat gesagt: ›Ich versichere Ihnen, ich bin nicht tot.‹«
Chris verzog das Gesicht. »›Ich versichere Ihnen, ich bin nicht tot.‹ Wirklich sehr seltsam.«
»Allerdings. Und dann, knapp einen Tag später, ist er tot. Schicksal, könnte man sagen.« Dann räusperte sie sich, um sich wieder dem Geschäft zuzuwenden. »Mahlzeiten sind im Übernachtungspreis inbegriffen. Abendessen wird von halb bis Viertel nach sechs serviert. Keine gehobene Küche, aber gut, gesund und reichlich. Sie haben jeweils ein eigenes Bad, aber auf den Zimmern gibt es weder Fernseher noch Radio oder Telefon.«
»Wie sieht’s mit Handyempfang aus?«, fragte Alix. Sie wollte Geoff gern noch einmal anrufen.
»Praktisch nicht vorhanden, tut mir leid. Wir sind hier wirklich weitab vom Schuss.«
Als Alix besorgt die Stirn runzelte, fügte sie hinzu: »Sie können gern das öffentliche Telefon an der Wand da benutzen. Geht auch mit Kartenzahlung.«
Alix sah zu dem Telefon rüber. »Ähm, also …«
Barb lächelte verständnisvoll. »Nicht sehr privat, verstehe. Nun, wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie ein Stück zurückfahren. Da ist eine Stelle … Einen besseren Empfang haben Sie nirgendwo. Es ist das einzige Haus auf dem Weg zum Highway, eine Blockhütte auf der linken Seite. Die hat ihren eigenen eingebauten Handymast oder wie das heißt …«
»Im Ernst?«, fragte Alix. »Die Hütte ist doch mindestens hundert Jahre alt. Warum …«
»Die ist keine zwanzig Jahre alt«, sagte Barbara lachend. »Können Sie sich noch an
City Slickers
erinnern?«
»
City Slickers
?«
»Den Film.«
»Den Film?«
»Sie kommt nicht oft raus«, warf Chris gelassen ein.
»Aha. Also, der Film wurde hier gedreht und
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