Gefährliches Talent: Kriminalroman
die Hütte ist nur eine Kulisse. Hier draußen war dieses riesige Filmteam und alle mussten natürlich ständig superdringend telefonieren und sind total ausgeflippt, weil es nicht ging. Aber es war schließlich Hollywood,also haben sie keine Kosten gescheut und die Hütte technisch für Handyempfang ausgestattet. Nach den Dreharbeiten haben sie alles zurückgelassen. Funktioniert prima. Der einzige Ort im Umkreis von dreißig Kilometern, wo man einen vernünftigen Empfang hat. Manchmal, wenn ich dort vorbeifahre, stehen da fünf oder sechs Leute und telefonieren. Ich sage immer zu meinem Chef, wir sollten ein Starbucks-Café in der Hütte unterbringen.«
Als sie die Treppe hinunter zu ihrem Wagen gingen, schaute Chris auf ihre Uhr. »Bis zum Abendessen ist noch Zeit, falls Sie telefonieren wollen. Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, selbst zu fahren. Sie könnten mich am Zimmer absetzen und ich könnte meine Füße hochlegen. Ich bin fix und fertig. Diese Kiste zu fahren ist so was von anstrengend! Falls ich mir jemals so einen Wagen anschaffe, dann aber nur mit Automatik.«
»Dann wollen die anderen Lamborghini-Besitzer aber nichts mit Ihnen zu tun haben.«
»Ja, das wäre natürlich ganz furchtbar.« Sie gab Alix die Schlüssel. »Aber bitte fahren Sie langsam. Ich glaube, ich darf mit dem Wagen eigentlich gar nicht auf unbefestigten Straßen fahren. Außerdem sind wir hier nicht an der Amalfiküste.«
Ironie des Schicksals, dachte Alix, als sie Chris absetzte. Endlich durfte sie wieder so ein Schätzchen fahren, aber dann ausgerechnet auf einem Eselspfad, auf dem sie sich auch ohne Chris’ Bitte gar nicht trauen würde, viel schneller als zwanzig zu fahren. Es machte trotzdem Spaß, dachte sie bei sich, als sie mit dem Chromknüppel sanft vom ersten in den zweiten Gang schaltete. Der LP 560 hatte sechs Gänge und Chris war nie über den vierten hinausgegangen. Am liebsten wäre Alix den ganzen Weg zum Highway zurückgefahren, einfach nur, um alle sechs Gänge auszutesten. Aber ohne Chris’ Einverständnis konnte sie das nicht tun.
Sie hielt an der Blockhausattrappe und blieb kurz sitzen, um sie sich anzuschauen. Die Kulissenbauer hatten hervorragende Arbeit geleistet. Selbst aus wenigen Metern Entfernung sah der Bau aus wie ein zerfallenes Blockhaus aus der Pionierzeit. Als sie die Tür öffnete, um sich drinnen umzusehen, gab es kein Drinnen.Auf der anderen Seite der Tür befand sich eine neunzig Zentimeter breite Plattform, gerade groß genug, um Leute beim Rein- und Rausgehen zu filmen, und dahinter war nichts, nur einen halben Meter tiefer Geröll und Wüstensand. Kein Boden. So lief es in der Traumfabrik.
Sie setzte sich vorsichtig an den Rand der morschen Veranda, wo es etwas Schatten gab, und wählte Geoffs Geschäftsnummer.
»Handelsgesellschaft Venezia. Wie kann ich Ihnen helfen?« Träge, schwerfällig, unverkennbar … Anscheinend war Tiny jetzt bei Venezia für den Telefondienst zuständig.
»Hallo, Tiny, hier ist …«
»He,
la mia nipotina
!«, rief er glücklich.
Meine kleine Nichte.
»Ja, ich bin’s noch mal, z
io Beniamino
.« Wenn er’s unbedingt wollte, nannte sie ihn halt Onkel.
»Möchtest du mit deinem Vater reden? Der …«
»Nein, warte, Tiny, mit dem rede ich später. Ich wollte zuerst mit dir reden.«
Das freute ihn offensichtlich. »Über das O’Keeffe-Bild?«, fragte er interessiert. Alix hörte so was wie das Ächzen eines Ledersessels. Tiny machte es sich anscheinend bequem.
»Ja, ich würde gern deine Meinung hören.« Es stimmte tatsächlich. Sie musste sich gar keine Fragen für ihn aus den Fingern saugen.
»In Ordnung, schieß los.«
»Also, ich arbeite für eine Frau, die mit dem Gedanken spielt, es zu kaufen, aber ich habe meine Zweifel, starke Zweifel, an der Echtheit des Bildes. Nein, eigentlich bin ich mir sicher, dass es gefälscht ist. Es fehlt irgendwas, aber ich kann nicht genau sagen was, verstehst du? Als wenn …«
»Ich verstehe, was du meinst. Ist es eins von den Blumenbildern?«
»Nein, eine Landschaft.«
»Ach ja? Interessant.« Sie musste lächeln, denn wie er »interessant« sagte, hatte ihr schon immer gefallen. Tiny war der einzige Mensch, den sie kannte, der alle vier Silben deutlich aussprach:
in-ter-es-sant
. Dadurch wurde jedes Gesprächsthema besonders … in-ter-es-sant. »Am häufigsten werden die Blumenbilder gefälscht. Warum, verstehe ich auch nicht. Die Landschaften sind viel einfacher. Wahrscheinlich, weil diese
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