Gefährliches Talent: Kriminalroman
klasse Sportwagens saß, machte sie eben eine Ausnahme. Sie hatte diese Leidenschaft erst relativ spät entdeckt. Sie war sechsundzwanzig, als Gian-Carlo Santullo sie mit dem Nervenkitzel und den Herausforderungen bekanntmachte, die so ein Lamborghini bedeutete. Wie bei den meisten Dingen hatte sie auch hier schnell gelernt und während ihrer restlichen Zeit in Italien hatte sie sich immer ganz besonders auf die Wochenenden in Ravello gefreut, wenn sie ganz allein herrliche Fahrten entlang der kurvenreichen, windigen Amalfiküste unternehmen konnte.
»Puh«, sagte Chris, ihre Nebelhornstimme noch ein wenig tiefer als sonst und ungewohnt leise. Als Alix sie anschaute, saß Chris immer noch stocksteif da und schien den Atem anzuhalten, ihre Augen riesig weit aufgerissen und den Kopf noch immer an die Kopfstütze gepresst.
Sie nahm sofort den Fuß vom Gas und fuhr an den Straßenrand. »Ist alles in Ordnung, Chris?«
Chris atmete auf, ihr Körper und ihr Gesichtsausdruck entspannten sich. »Mir geht’s gut. Ich bekomme nur immer so ein komisches Gefühl, wenn der Beschleunigungsdruck über fünf
g
hinausgeht.«
»Tut mir schrecklich leid«, sagte Alix ehrlich. »Ich wollte nicht …«
»Es braucht Ihnen nicht leidzutun, es war toll! Wie schnell sind wir gefahren?«
»Gar nicht mal so schnell. Gut hundertvierzig. Aber das Tempo haben wir in nicht mal zehn Sekunden erreicht. Daher das seltsame Gefühl.« Dass der Wagen tatsächlich eine Anzeige für die
g
-Kraft besaß, verschwieg sie lieber.
»Was war das für ein Krach? Ist das normal?«
»Das liegt am Drehmoment von fünfhundertvierzig Nm, den fünfhundertzwanzig PS und den siebentausend Umdrehungen pro Minute. Völlig normal. Das gehört alles zum besonderen Lamborghini-Erlebnis.Haben Sie sich erschreckt? Ich hätte Sie vorwarnen sollen.«
»Ich habe mich ganz schön erschreckt.« Sie grinste. »Aber ich fand es auch toll. Los, machen wir’s noch mal. Geht es noch schneller? Was für ein Kick!«
»Aber mit Vergnügen. Wir haben noch eine relativ lange gerade Strecke vor uns, bevor die Kurven kommen, und weit und breit kein anderes Auto zu sehen. Soll ich bis zum Anschlag aufdrehen?«
»Na klar, aber wenn’s geht, bitte nicht abheben.«
»Das wird wohl nicht passieren, aber wer weiß?«
»Lassen wir’s drauf ankommen.« Chris drückte sich wieder in ihren Schalensitz, umklammerte dessen hochgezogene Ränder, presste die Lippen zusammen und blickte starr nach vorn. »Drücken Sie auf die Tube!«
Jetzt, da sich Alix wieder an die ungewöhnlichen elektronischen Schaltwippen des Lamborghini gewöhnt hatte, wurde sie noch schneller. Nach zwölf Sekunden waren sie auf hundertneunzig, aber dann konnte sie nicht mehr auf den Tacho schauen, denn sie musste sich aufs Fahren konzentrieren. Sie fuhren zweihundertvierzig und beschleunigten immer noch, als sie schließlich vom Gas gehen musste, weil die Straße einen Bergkamm hinaufführte und eine leichte Biegung nach links machte.
»Ich habe bis jetzt nie viel für Raserei übrig gehabt«, sagte Chris ein wenig außer Atem. »Aber ich muss zugeben, das war spitze.«
Alix nickte glücklich. Seit sie am Vortag Santa Fe verlassen hatten, war sie nicht so entspannt gewesen. »Vielleicht kommt noch mal eine gerade Strecke.«
Aber zunächst kam die gefährliche, kurvenreiche Strecke am Felsrand oberhalb des Chama River entlang, wo Henry Merriam umgekommen war, und Alix fuhr instinktiv noch langsamer. Links, direkt an der Felswand, war ein verwahrloster Rastplatz, den sie auf der Hinfahrt nicht bemerkt hatte und der ihr auch jetzt nicht aufgefallen wäre, wenn dort nicht ein Pick-up geparkt hätte, an dessen Motorhaube lässig ein dunkelhaariger junger Mann lehnte, einen Strohhut wie ein Campesino tief ins Gesicht gezogen. Erwirkte seltsam entspannt an diesem einsamen, trostlosen Fleck, wie er so mit verschränkten Armen und einem Fuß hinter sich auf der Stoßstange dastand. Ihr fiel auf, dass er sie trotz seiner betont lässigen Haltung unter seiner Hutkrempe genau zu beobachten schien, geradezu so, als hätte er auf sie gewartet. Irgendetwas stimmte da nicht. Ihre Nackenhaare stellten sich auf.
Auch Chris schaute zum Rastplatz hinüber. »Dieser Pick-up, den haben wir doch schon mal gesehen. Gestern in Española.« Sie sah genauer hin. »Ja, genau«, sagte sie, als sie so nah vorbeifuhren, dass sie die Schrift unter dem Bild auf der Beifahrertür lesen konnte. »Bimbi. Können Sie sich noch dran
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