Gefährliches Talent: Kriminalroman
sehr um dich sorgt, dass er hierherkommt, wird er sich wohl kaum davon abhalten lassen, dich zu sehen.«
»Oh Gott, meine Augen«, stöhnte Chris. Sie sah Alix traurig an. »Das geht doch wieder weg, oder?«
»Ganz bestimmt, aber nicht, bevor Craig hier ist.«
»Das ist nicht zum Lachen«, sagte Chris, musste aber selbst lachen. »Ach, was soll ich nur machen, es ist hoffnungslos.« Sie warf den Spiegel hin und ließ sich ins Kissen fallen. »Hoffentlich mag er Waschbären. Kannst du bitte das Bett hochstellen? Und wenn es dir nichts ausmacht, uns ein bisschen allein zu lassen …«
»Aber klar doch, ich gehe sofort«, sagte Alix, nachdem sie mit der Fernbedienung den Kopfteil des Betts hochgestellt hatte, sodass Chris aufrecht saß. »Aber du musst die Sache von der positiven Seite sehen.«
»Und die wäre?«
»Wenn er dich so sieht und immer noch Interesse hat, dann ist es ihm ernst.«
»Oh vielen Dank, das baut mich auf. Moment, hast du nicht gesagt, es sind zwei? Wer ist denn der andere?«
»Noch nie gesehen«, sagte Alix. »Bis später.«
Aber noch bevor sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, wurde ihr bewusst, dass sie ihn wohl schon einmal gesehen hatte. Er war ihr irgendwie bekannt vorgekommen, so wie ein Schauspieler, den man mal gesehen hat, oder jemand, mit dem man vor langer Zeit mal zu tun hatte. Und dann machte es klick: Es war dieser Hochstapler de Beauvais. Wahrscheinlich hatte sie ihn nicht sofort erkannt, weil sie von oben auf ihn herabgeschaut hatte, und außerdem hatte sie ihn hier nicht erwartet. Was wollte der denn hier im Krankenhaus? Und woher kannte er Craig? Und warum tauchte er überall auf, wo sie war – in Liz’ Galerie, auf der Polizeiwache …
Die beiden Männer eilten den Flur entlang, Craig vorweg. Als er Alix vor der geschlossenen Tür sah, war er sichtlich beunruhigt. »Ist alles in Ordnung? Stimmt irgendwas nicht?«
»Alles in Ordnung, sie hat nur ein paar Beulen, aber sie wird schon wieder.«
»Ähm … kann ich einfach so reingehen?«, fragte er.
»Na klar. Ich habe Sie vom Fenster aus gesehen und ihr gesagt, dass Sie kommen. Sie freut sich.« Sie überlegte kurz, ob sie ihm von den Waschbäraugen erzählen sollte (sogar der Notarzt hatte diesen Ausdruck benutzt), aber dann entschied sie sich, den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Er legte seine Hand auf den Türgriff, doch dann drehte er sich um, nahm sie plötzlich in die Arme und drückte sie fest. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie groß er war, mindestens eins achtundachtzig, also ideal für Chris. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Im Grunde versuchte sie, die beiden zu verkuppeln, und dabei hasste sie es, wenn jemand das bei ihr versuchte.
»Ich habe gehört, Sie haben ihr das Leben gerettet«, murmelte er in ihr Ohr. »Danke.«
»Ich habe doch nur …« Aber er war schon im Zimmer. Sie hörte, wie er sagte: »Hallo Chris, hoffentlich …« Doch dann ging die Tür zu und sie war mit de Beauvais allein, der ein paar Meter entfernt stand und sie mit einem öligen, arroganten, übertrieben selbstbewussten Lächeln bedachte.
»Wollten Sie irgendwas?«, sagte sie schnippisch.
»Ja, erstens möchte ich sagen, wie froh ich bin, dass Ihnen nichts zugestoßen ist. Wie ich gehört habe, haben Sie heute Morgen auf der Straße eine Glanzleistung hingelegt.«
»Danke.« Sie wartete darauf, dass er weiterredete.
»Und zweitens muss ich etwas gestehen.«
»Ich weiß, Sie sind ein Hochstapler.«
Er sah sie ganz ruhig an und ließ sich nichts anmerken. »Aber wie kommen Sie denn auf die Idee?«
»Wegen des aufgesetzten Bostoner Oberschichtakzents«, sagte sie, aber das war gelogen. Der Akzent wirkte tatsächlich aufgesetzt, das stimmte, aber sie hätte ihn ihm abgenommen, wenn sie nicht aus dem Nebenzimmer seine Unterhaltung mit Mendoza mitangehört hätte, wo er ganz normal gesprochen hatte. »Das nimmt Ihnen doch keiner ab. So spricht doch heute kein Mensch mehr. Nicht mehr seit …« Seit Paynton Whipple-Pruitt, hätte sie hinzufügen können. »Seit … ich weiß auch nicht, seit wann.«
Er sah sie noch eine Weile an – ziemlich streng, wie sie fand –, doch dann veränderte sich sein Gesicht wie von Zauberhand. Seine Züge entspannten sich und er lächelte sie an. Ein einnehmendes Lächeln, musste sie zugeben, offen und direkt und kein bisschen gekünstelt. Seine ganze Körperhaltung war aufrechterund um seine unglaublich blauen Augen zeigten sich reizende Lachfalten. Er war ein richtig
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