Gefährliches Talent: Kriminalroman
versteigern lassen will«, sagte sie hastig, »und sie sollen in möglichst gutem Zustand sein!«
Alix war schockiert. Der Bonnard und der Utrillo waren die Glanzstücke der Sammlung und auch die wertvollsten Bilder. Sie waren mehr wert als die anderen vier zusammen. »Aber warum?«
»Weil ich die alten spätimpressionistischen Schmierer total überhabe, Sie etwa nicht?«
»Äh, nein, nicht …«
Aber es war eine rhetorische Frage gewesen. »Das sind doch alte Kamellen. Dafür interessiert sich heute kein Mensch mehr. Die haben doch gar keinen Bezug zu unserer modernen Welt, finden Sie nicht auch?«
Auch auf diese Frage wollte sie nicht wirklich eine Antwort. Alix wartete ab.
»Und deshalb will ich sie loswerden und in die
Zukunft
investieren, nicht in die Vergangenheit, nicht in alte, tote Künstler, sondern in lebendige, geniale neue.«
»Die Zukunft?«, fragte Alix vorsichtig. Der Gedanke, dass jemand Bonnards strahlend sinnliche
Badende
loswerden wollte, ließ sie erschaudern, insbesondere, da das Bild moderner Kunst weichen sollte.
»Ja! Es gibt da einen wundervollen neuen Künstler. Ein wahrer Visionär! Ich betrachte ihn als einen Erben Picassos, nur vollkommen anders. Bahnbrechend. Er wird den Kunstbegriff ganz neu definieren und
ich
werde seine amerikanische Mäzenin. Ist das nicht unglaublich?«
Diesmal erwartete sie eine Antwort. »Ja, allerdings«, erwiderte Alix, unfähig, mehr Begeisterung aufzubringen. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Er ist praktisch gerade erst in der Kunstszene aufgetaucht«, plapperte Katryn weiter. »Ich hatte so ein Glück, ihn als Erste zu entdecken. Ich folge ihm auf Twitter«, sagte sie stolz. »Und ich habe mit ihm telefoniert. Schon zweimal. Ein wundervoller Mensch und sehr tiefsinnig, einfach ein Genie.« Alix hörte eine Art Schniefen, vielleicht Katryns Version eines mädchenhaften Kicherns. »Und was für ein heißer Typ! Ich habe sein Video auf YouTube gesehen.«
»Wie heißt er?«, fragte Alix. »Könnte ich schon von ihm gehört haben?« Sie bekam langsam ein komisches Gefühl dabei.
»Das würde mich nicht überraschen. Vielleicht sind Sie ihm sogar schon begegnet! Danach wollte ich Sie auch fragen.«
Das komische Gefühl wurde stärker. Es war doch sicher nicht … Es konnte doch nicht …
»In seinen Tweets hat er geschrieben, seine erste Ausstellung in Amerika stehe kurz bevor, in der Galerie Blue Coyote in Santa Fe, deshalb habe ich mich natürlich gefragt …«
Das konnte doch nicht wahr sein! War’s aber doch. Alix war total entgeistert »Gregor Gorzynski«, sagte sie tonlos.
»Gregor
Stanislav
Gorzynski«, sagte Katryn affektiert. »Kurz Stani. Haben Sie ihn tatsächlich getroffen? Haben Sie seine Arbeiten gesehen? Sind sie nicht fantastisch?«
»Katryn«, begann Alix, aber Katryn schnitt ihr das Wort ab, was auch gut war, denn sie wusste nicht, was sie sonst gesagt hätte.Aber sicher etwas, das Katryn gar nicht gefallen hätte. »Alix, ich muss jetzt Schluss machen. Wir hören voneinander.
Au revoir, ma chère.
Ich bin so aufgeregt!«
Alix stand kurz einfach da und starrte aus dem Fenster, dann setzte sie sich kraftlos wieder aufs Bett. Wütend löschte sie alle drei Nachrichten von Katryn. Übelkeit stieg in ihr auf. Hatte etwa jemand Katryn dazu angestiftet, ihr einen üblen Streich zu spielen? Oder waren hier kosmische Kräfte im Spiel? Man erntet, was man sät? Alles rächt sich irgendwann? Die Geschichte wiederholt sich? Die Sünden des Vaters sollen die Tochter heimsuchen? Dann gingen ihr die klugen Sprüche aus.
Geoff war es im Grunde genauso gegangen und deshalb war er auch kriminell geworden, wenn man seiner Geschichte Glauben schenkte. Seine Fälschungen waren allesamt Kopien von Gemälden, die ihm zur Reinigung oder Restauration anvertraut worden waren. Und die Fälschungen waren so gut, dass er sie gegen die Originale austauschen konnte, ohne dass die Besitzer etwas merkten. Sahen sie nicht irgendwie anders aus? Strahlten sie nicht wie neu? Natürlich, das war das Ergebnis der fachmännischen Reinigung. Anschließend verkaufte er die Originale an gutgläubige und manchmal auch zwielichtige Sammler und machte jedes Mal eine Menge Geld.
Die Beweislage war so eindeutig, dass es aussichtslos gewesen wäre, seine Unschuld zu beteuern, und er hatte es auch nicht getan. Stattdessen hatte er in einer eloquenten Verteidigungsrede erklärt, er habe die westliche Zivilisation retten wollen. Er hatte darauf hingewiesen, dass alle
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