Gefährtin Der Finsternis
Mund, als wäre es das Natürlichste von der Welt. »Ihr Vater war hier Kalif, aber Lucan Kivar hat ihn vor langer Zeit getötet.«
»Und das Kind?«
»Ihr jüngerer Bruder.« Er griff in seine Tasche und holte eine Flasche hervor, deren Glas im Mondlicht rubinrot leuchtete. »Kivar versprach, ihn zum Mann heranwachsen zu lassen, wenn sie sich seinem Willen fügte«, erklärte er und betrachtete die Flasche. »Aber sie hat ihn betrogen.«
Simon erinnerte sich an den Ausdruck auf ihrem Gesicht, als Francis tot zu ihren Füßen fiel, den Dolch, der ihn getötet hatte, umklammerte sie mit ihrer Faust. »Sie hat meinen Herren getötet …«
»Aus Gnade«, sagte Orlando, ihn unterbrechend. »Wäre es Euch lieber, wenn Euer Herr wie Ihr wäre?« Simon wandte den Blick ab, konnte nicht antworten. »Kommt, Krieger.« Der Zwerg streckte die Hand aus und berührte ihn am Arm, wobei sein Kopf kaum bis zu Simons Ellbogen reichte. »Bis morgen früh gibt es viel zu besprechen.« Aus der Richtung des Palastes erklang Lärm, und Orlando lächelte und steckte die Flasche wieder in seine Tasche. »Mylady erwartet uns.«
Das Mädchen hieb die Läden in der Halle mit einer Axt herunter, die eigentlich viel zu schwer war, als dass sie sie hätte anheben können, geschweige denn, sie mit solcher Kraft zu handhaben. »Orlando, verschließ die Katakomben«, sagte sie, als sie hereinkamen. »Die meisten der Übrigen werden in den Höhlen Schutz suchen, aber einige werden töricht genug sein zurückzukommen.«
»Die Übrigen?«, fragte Simon. Sie schwang die Axt erneut, zerschmetterte einen weiteren Fensterrahmen.
»Die übrigen Vampire.« Sie ließ die Axt sinken und riss die Wandbehänge herunter. »Das Sonnenlicht wird sie vernichten – wird uns alle töten.« Sie schaute zu Simon zurück. »Es sei denn, Ihr tötet mich zuerst.«
»Nein!« Orlando eilte erneut herbei und stellte sich zwischen sie. »Ihr könnt gerettet werden, Mylady, das wisst Ihr – Ihr beide könnt von Euren Verbrechen freigesprochen werden. Der Kelch …«
»Der Kelch ist ein törichter Aberglaube«, unterbrach Roxanna ihn.
»Wie könnt Ihr das sagen?«, erwiderte er. »Wie könnt Ihr von Aberglauben sprechen, während Ihr hier steht, in dieser Halle, selbst ein Vampir …«
»Ein Ungeheuer«, stimmte sie ihm zu.
»Körperlich, ja, aber nicht aus eigenem Willen oder selbst erschaffen«, beharrte der Zwerg. »Ich schwöre Euch, Ihr könnt gerettet werden. Ich habe es gesehen. Dieser Krieger …«
»Simon«, unterbrach Simon ihn, hörte aber kaum zu. Der Herzog lag noch immer dort, wo er gestürzt war. Zwei bläulich-purpurfarbene Wunden waren in seine Kehle gerissen worden, die im Vergleich zu den Wunden der übrigen Leichen zierlich waren. »Mein Name ist Simon.« Er kniete sich neben den Leichnam. »Wer hat ihn gebissen?«
»Ich war es«, antwortete Roxanna. »Wir können uns an den Toten nähren, wenn wir wollen.«
»Und Ihr?«, fragte Simon Orlando und wandte sich von dem Mädchen ab, konnte sie nicht einmal ansehen. »Seid Ihr auch ein Vampir?«
»Nein, Simon, ich nicht«, antwortete Orlando. »Kivar hielt mich aufgrund meiner Statur für ein Ungeheuer eigener Art, das seines Blutes nicht würdig war.«
»Wären wir doch alle gleich gewesen«, sagte Roxanna und wandte sich ab.
»Ihr wurdet nicht zufällig ausgewählt, Simon«, fuhr Orlando fort und kam auf ihn zu. »Kivar wollte englische Ritter – er brauchte englische Soldaten.«
»Wir haben keine Zeit dafür«, sagte Roxanna und nahm ihre Axt wieder hoch.
»Er wusste, dass der Kelch in England ist«, fuhr Orlando fort. »Er wusste, dass er ihn vernichten konnte …«
»Er ist vernichtet!«, beharrte das Mädchen.
»Glaubt Ihr?«, wollte Orlando wissen und wandte sich ihr wieder zu. Er nahm Kivars leeres Gewand, von dem noch immer der widerliche schwarz-grüne Schleim troff. »Ihr glaubt, Lucan Kivar, ein Wesen, das älter ist als die Berge, in denen wir uns befinden, sei hierauf reduziert worden?« Roxanna antwortete nicht, aber Simon konnte an ihrem Gesicht erkennen, dass sie es nicht glaubte, so sehr sie sich auch danach sehnte, es glauben zu können. »Nein, meine geliebte Lady«, sagte der Zwerg und ließ das Gewand wieder fallen. »Er ist gegangen, aber er ist nicht vernichtet. Ich habe in meinen Visionen von seiner Rückkehr geträumt.«
»Orlando hält sich für einen Zauberer«, erklärte Roxanna mit brüchigem, verbittertem Lächeln. »Er kam als Zauberkünstler hierher, als
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