Gefaehrtin der Nacht
hohl. »Ja, klar.« Wie dumm von ihr. Er zweifelte nicht daran, dass Skyler ihn vermisste, natürlich tat sie das. Doch er wusste, dass sie mit Jack viel glücklicher war. Wenn hier einer der Dumme war, dann ja wohl er selbst. Oliver kramte nach seiner Brieftasche und zog ein paar Zwanzig-Dollar-Scheine hervor.
Die attraktive Barkeeperin lehnte sie mit einer Handbewegung ab. »Lass heut mal stecken. Ich bitte dich nur um eines: Was auch immer du vorhast, tu es nicht. Es wird nichts bringen.«
Er schüttelte erneut den Kopf und legte ein paar Dollar als Trinkgeld auf den Tresen. »Danke für die Drinks, aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte er leise, ohne ihr in die Augen zu sehen. Was wusste sie über sein Vorhaben? Was kümmerte es sie?
Oliver trat hinaus in die Dunkelheit. Es war einer dieser Abende, die er vor nicht allzu langer Zeit noch mit Skyler verbracht hätte. Sie wären durch die Stadt geschlendert und hätten sich nur von ihrer Stimmung leiten lassen. Es würde keine spätabendlichen Cappuccinos im Café Reggio mehr geben. Keine Besuche in winzig kleinen Pubs, um die neusten Folksänger zu hören. Sie würden den Tag nicht mehr mit einem Frühstück im Yaffa begrüßen. All das war vorbei. Und das für immer.
Egal. Sein Fahrer wartete mit dem Wagen an der Straße. Oliver nannte ihm die Adresse. Nach dieser Nacht würde er alles vergessen haben, auch ihren Namen. Mit etwas Glück würde er vielleicht sogar seinen eigenen Namen vergessen.
2
Gift
M it seinen Samtsofas und dem dämmrigen Licht erinnerte das Bluthaus an ein Bordell aus der Jahrhundertwende. Daher war Oliver erstaunt, als er dort eine hochmoderne medizinische Praxis vorfand.
Die zigarrekauende Hausdame, die ihn ins Dachgeschoss geschickt hatte, hatte ihm erklärt, dass er sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen müsse, bevor sie ihn als Vertrauten des Hauses registrieren könne.
»Wir müssen sichergehen, dass du unsere Kunden nicht mit irgendeiner unangenehmen Krankheit anstecken kannst«, sagte der Arzt, während er mit einer Lampe in Olivers Hals leuchtete.
Oliver hatte den Mund so weit geöffnet, dass er nichts erwidern konnte. Kurz darauf stachen ihn eine Reihe von Nadeln, um ihm Blut abzunehmen. Als die ärztliche Untersuchung vorbei war, wurde er in einen anderen Raum gebracht und dem hauseigenen Psychiater vorgestellt.
»Die Entwöhnung von deinem Vampir ist kein physischer Prozess«, sagte der Psychiater. »Das Gift in deinem Blut ist Ausdruck der Liebe, die du für deinen Vampir empfindest. Es ist unsere Aufgabe, diese Liebe auszumerzen und damit die Fessel zu lösen, mit der sie deine Psyche gefangen hält. Erst dann verschwindet das Gift.
Es kann eine schmerzhafte Prozedur werden, und es ist nicht vorhersehbar, was dabei herauskommen wird. Einige Vertraute erleben einen Verlust, der dem Tod eines geliebten Menschen nahekommt. Andere verlieren alle Erinnerungen an ihren Vampir. Jeder Fall verläuft anders.« Der Arzt zückte seinen Block. »Kannst du mir etwas über euer Verhältnis erzählen?«
»Wir waren Freunde«, antwortete Oliver. »Ich kenne sie, seit ich denken kann. Ich war ihr Conduit.« Er war erleichtert, dass der Arzt keine Miene verzog. »Ich habe sie geliebt. Ich liebe sie noch immer. Nicht weil sie mein Vampir ist – es ist mehr als das.«
»Inwiefern?«
»Ich meine, ich habe sie schon geliebt, bevor sie mich gebissen hat.« Er dachte daran, wie er versucht hatte, sich selbst etwas vorzumachen. Er hatte sich einreden wollen, er hätte sich erst nach ihrer Verwandlung in sie verliebt. Doch das entsprach nicht der Wahrheit. Er liebte sie schon immer. Er hatte sich nur selbst belogen, um sich besser zu fühlen.
»Ich verstehe. Und der Heilige Kuss? War das ihre Idee oder deine?«
»Ich glaube, wir hatten beide die Idee. Ich erinnere mich nicht wirklich … Wir wollten es schon früher tun, sind dem Ganzen aber ausgewichen und dann … dann ist es einfach passiert. Wir hatten es nicht geplant.«
»Also war es ihre Idee.«
»Ich denke schon.«
Der Psychiater forderte ihn auf, die Augen zu schließen, und Oliver tat es pflichtbewusst.
»Lass uns ganz am Anfang beginnen. Ruf dir all die glücklichen Erinnerungen an sie ins Gedächtnis, und dann sortiere sie aus, eine nach der anderen. Lass sie einfach los.«
Die Stimme des Arztes hallte in seinem Kopf wider. Oliver erkannte, dass es ein Zauberbann war.
Du bist nicht mehr mit ihr verbunden.
Du gehörst nicht länger
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