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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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geübter Leichtigkeit zusammen, was etwa dreißig Sekunden dauerte, und testete den Drei-Pfund-Druckpunkt des Abzugs. Dann legte sie eine einzelne teflonbeschichtete .308er Patrone ein und lud durch. Mit Schalldämpfer, Zielfernrohr und Lasergerät wog die Waffe fast zehn Pfund, sodass nur die Gabelstütze die notwendige Präzision garantieren konnte.
    Sie ging auf den Balkon und sah, dass die Sonne fast unter Wasser war und der Horizont blutig leuchtete, während der Himmel sich zu einem blauschwarzen Bluterguss verdunkelte. Von unten angestrahlt, zitterte ein Dutzend Palmen im Abendwind.
    Aber der alte Mann war noch genau dort, wo er sein sollte. Er saß in der Dämmerung und genoss den letzten Atemzug des Tages.
    Nico legte sich auf den Bauch und schob die Mündung durch die Streben der rosa Balkonbrüstung. Der Gewehrlauf ruhte auf der Gabelstütze, sodass ihr Arm nicht zu viel Gewicht halten musste. Sie blickte durch das Zielfernrohr und schaltete den Laser ein, der eine Oblate aus blutrotem Licht zwischen den vierten und sechsten Rückenwirbel des alten Mannes warf. Vom Ende des Laufes bis zu seiner Hautoberfläche waren es weniger als 200 Meter, ein leichter Schuss, selbst in der Dämmerung. Doch sie konnte sehen, dass das Licht auf dem Rücken ihres Zieles zitterte, während sie schier endlos lange, wie ihr schien, den Finger am Abzug krümmte. Dann zuckte das Gewehr, und sie hörte ein Geräusch, als wäre in einem anderen Zimmer ein Sektkorken aus der Flasche geflogen. Der alte Mann fuhr jäh auf und erstarrte, als jage ein Elektroschock durch ihn hindurch. Sein Körper sackte zusammen, so schlaff, dass sie wusste, die Kugel hatte das Rückgrat durchschlagen.
    Es gab keinen Rauch und auch kein Mündungsfeuer, das irgendjemand hätte sehen können. Das Geschoss, das sie abgefeuert hatte, war eine Unterschall-Patrone, sodass das einzige, möglicherweise verräterische Geräusch der Klang der Kugel war, als sie in den Rücken des alten Mannes einschlug.
    Nicht, dass das eine Rolle gespielt hätte. Niemand achtete darauf — ganz sicher nicht der Jamaikaner, der nur Ohren für Bob Marley hatte, und ganz sicher nicht die Kinder im Pool, deren Lachen in der Luft schwebte wie Musik.
    Nico setzte sich auf und zerlegte das Gewehr.
    Dann packte sie die Einzelteile wieder in den Koffer, klappte den Deckel zu und drehte an den kleinen Messingrädchen der Zahlenschlösser. Schließlich goss sie sich den Rest Sekt ein, ging mit dem Glas auf den Balkon, setzte sich und wartete darauf, dass die Hölle losbrach.
    Noch immer gab es keinerlei Reaktion auf ihre Tat. Der Jamaikaner nickte rhythmisch zu dem einsamen Konzert seines Walkmans, die Augen halb geschlossen. Die Muschelsucher und der Jogger waren längst verschwunden, und die beiden Teenager hatten ihre Sachen zusammengepackt. Damit blieben nur noch die Kinder und ihre Mom. Die Kinder planschten noch immer im Pool, die Mutter stand daneben, hielt Handtücher bereit und flehte sie an, endlich herauszukommen. Eine Minute verging. Dann fünf. Die Sonne war jetzt hinter dem Horizont versunken, sodass nur noch schwache Streifen Rot am Himmel zu sehen waren. Schließlich, als hätte er so­ eben bemerkt, dass es fast schon dunkel war, nahm der Jamaikaner den Kopfhörer ab, packte die Griffe des Rollstuhls und schob den alten Mann gemächlich über den Weg, ohne zu merken, dass sein Schützling tot war.
    Aber als er den Pool erreichte, sahen es die Kinder. Und Nico sah, was sie sahen: den alten Mann, leblos jenseits allen Schlafes, zusammengesackt in seinem Stuhl mit weiß verdrehten Augen. Und die Blüte auf seiner Brust, wo die Kugel ausgetreten und ihm in den Schoß gefallen war, nicht ohne ein Loch in seinen Schal zu reißen.
    Eines der kleinen Mädchen fing an zu kreischen, und ihre Mutter wies sie zurecht, weil sie dachte, die Kinder würden sich zanken. Nico stand am Balkongeländer, nippte an ihrem Sekt und hörte, wie die Frau ihrer Tochter drohte: »Jetzt reicht's aber, Jessie, jetzt reicht es wirklich, das ist das letzte Mal -«
    Dann verlor sich ihre Stimme, der Wind erstarb, und ein erschrecktes Keuchen ertönte. Dann ein zweites Keuchen, als wollte jemand Kraft sammeln, um loszuschreien. Und endlich der Schrei selbst, der den Abend zerriss.
    Nico verließ den Balkon, trat ins Zimmer und nahm die Fernbedienung zur Hand. Sie schaltete den Fernseher ein, setzte sich auf die Couch und zappte durch die Kanäle, bis sie ihre Lieblingssendung gefunden hatte. Kanal 67.

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