Gefaelschtes Gedaechtnis
und staunte über die Veränderung in ihrem Gesicht, wie die wissende und argwöhnische Neutralität einem Ausdruck süßer, lebensfroher Unschuld wich. Sie war wieder ein Kind, und sogar ihre Stimme klang kindlich.
»Wo sind wir?«, fragte er.
»South Carolina.«
»Bei deinen Pflegeeltern?«
»Ja. In unserem Haus. Es ist ein großes, weißes Haus, ganz einsam gelegen.«
»Erzähl mir mehr davon.«
»Du kennst es.«
»Erzähl es mir noch mal.«
Ihre Stirn legte sich in Falten. »Es hat Säulen. Dicke, alte, weiße Säulen. Wie bei reichen Leuten. Nur dass die Farbe abblättert und man sehen kann, dass sie nicht wirklich massiv sind - bloß zusammengeklebte Holzleisten. Und jetzt fallen sie allmählich auseinander. Also vielleicht - vielleicht stürzt sie bald ein.«
»Was?«, fragte Duran.
»Die Veranda.«
»Okay ... was gibt es noch?«
»Bäume.«
»Was für Bäume?«
»Da sind Bäume. Immergrüne Eichen. Das Haus steht am Ende einer kleinen Straße -«
»Einer langen Zufahrt«, berichtigte er.
»Einer langen Zufahrt, mit grünen Eichen auf beiden Seiten.«
»Immergrünen Eichen«, berichtigte er.
»Stimmt. So heißen die - bloß sehen sie nicht immergrün aus. Die sehen alt und tot aus. Und alle finden sie so schön. Nur ich nicht.«
»Du magst sie nicht?«
»Nein. Ich habe Angst davor!«
»Warum?«
»Weil ...«
»Weil was?«
»... sie gruselig sind.«
»Gruselig? Wie meinst du das?«
»Wegen der Spinnweben.«
»Du meinst die Bartflechten«, erwiderte Duran.
»Ja.«
»Und was noch?«, fragte er.
Nico runzelte die Stirn, während sie überlegte. Endlich schüttelte sie den Kopf.
»Hat Deck nicht irgendwas mit den Bartflechten gemacht?«, fragte Duran.
Wieder bewegte sie sich auf der Couch. Nach einem Moment nickte sie. »Mm-hm.«
»Was hat er gemacht?«
Sie wandte den Kopf Richtung Kissen. »In den Schattennächten hat er sie sich ins Haar getan.«
Duran nickte. »Und dann war es wie — wie war es?«
»Spinnweben.«
Er beugte sich näher zu ihr. »Erzähl mir von Deck«, sagte er.
»Ich mag Deck nicht«, rief sie. Plötzlich flogen ihre Augen auf, und sie wollte sich aufsetzen. »Aber das darfst du ihm nicht sagen!«
»Das werde ich nicht.«
»Versprochen?«
»Ja. Versprochen. Und jetzt entspann dich. Schließ die Augen. Du bist hier sicher.« Duran sah, dass sie anfing zu hyperventilieren. »Hier sind nur wir beide, der Wind und der Bach und ... Okay?«
Sie nickte.
Nach einer Weile kam er auf das Thema zurück. »Warum magst du Deck nicht?«
Sie schwieg länger als eine Minute, ihre Brust hob und senkte sich. Duran wartete geduldig auf die Antwort, seine Augen auf ihre Lippen gerichtet. Schließlich stieß sie die Worte hervor: »Wegen dem, was er macht! «
»Und was ist das?«
Nico wand sich. »Er behauptet, dass wir mit unseren Freunden in die Kirche gehen, aber das ist gar keine Kirche, wo wir hingehen — das ist bloß ein Tunnel unter dem Keller.«
»Und was passiert da?«
Nicos Körper wurde ganz reglos. Dann schüttelte sie den Kopf. »Habt ihr nicht manchmal Filme gemacht?«
Sie nickte.
»Erzähl mir von den Filmen«, sagte Duran.
Nicos Miene verfinsterte sich, dann rollte sie sich auf die Seite, sodass sie von Duran abgewendet war, mit dem Gesicht zur Rückenlehne der Couch. »Ich kann nicht«, sagte sie.
»Du kannst nicht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«, fragte Duran.
»Weil ich einfach nicht kann.«
»Kannst du dich an gar keinen Film mehr erinnern?«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Aber ... ich erinnere mich an einen«, erklärte Duran. »Da gab es doch einen ... in dem du geheiratet hast, nicht wahr?«
Widerwillig nickte Nico, und Duran sah jetzt, dass sich ihre Abwehr in einer Mischung aus Furcht und Elend verlor.
»Lass uns dahin zurückgehen«, schlug Duran vor. »Die Hochzeit. Erzähl mir von der Hochzeit.«
Und das tat sie. Mit Durans Anleitung schilderte Nico den Tod ihrer älteren Schwester bei der Aufnahme eines Pornofilms, in dem sie beide die Hauptrolle spielten und auch ihre jüngere Schwester beteiligt war. Es war ein Territorium, das Nico und Duran häufig betreten hatten. Für Nico war es der entscheidende Punkt, und damit klarzukommen war lebenswichtig.
»Ich bin ganz in Weiß«, sagte sie atemlos. »Angezogen wie eine Braut mit langer Schleppe und einem Blumenbukett.«
»Was für Blumen?«
»Schleierkraut und rote Rosen«, antwortete sie ohne Zögern.
»Und Farn. Rosanna ist der Bräutigam, und das ist
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