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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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entweder ein Gruppenwahn oder etwas, das weniger wahrscheinlich, aber noch schlimmer war - eine Seuche, die von einer dämonischen Unterwelt ausgelöst wurde, deren Perversionen sich auf den rituellen Mord an Kindern konzentrierten und dadurch entfacht wurden.
    Die Fahrstuhltüren gingen auf, und Duran trat hinaus in die Lobby. Ohne nach rechts oder links zu blicken, nur auf den Monolog in seinem Kopf konzentriert, ging er durch die Drehtüren ins Freie und schritt zügig in Richtung des Briefkastens an der Ecke. Es war einer von diesen kühlen und windigen Tagen, die einem das Gefühl gaben, die ganze Welt wäre an eine riesige Klimaanlage angeschlossen. Über ihm rüttelte der böige Wind an den Ästen der Bäume, und die gesamte Avenue hinauf und hinunter bebten die Schaufensterscheiben.
    Er dachte an die Feministinnen, die sich in die kontroverse Diskussion über satanisch-rituellen Missbrauch eingeschaltet hatten. Viele von ihnen glaubten, dass das Abstreiten von SRM der erste Schritt zum Leugnen auch der. verbreiteteren Formen sexuellen Missbrauchs war. Was jeden Zweifler zum Wegschauer oder, schlimmer noch, zum Mittäter bei der sexuellen Zerstörung unschuldiger Frauen und Kinder machte.
    Und doch ...
    Wenn es wirklich einen satanischen Untergrund gab, zu dessen Sakramenten auch Menschenopfer, Kannibalismus und Pädophilie zählten — wo waren die Beweise? Wo waren die Leichen, die Blutspuren, die Knochen?
    Für Duran war das schon immer eine nahe liegende Frage gewesen, doch sie laut zu stellen brachte gewisse Konsequenzen mit sich. Viele betrachteten es als das sexuelle Äquivalent zur Verleugnung des Holocaust. Und tatsächlich war SRM eine Art zeitgenössischer Holocaust — so wurde zumindest behauptet.
    Er sah zu dem weiten Himmel hinauf und hatte einen Moment lang das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Die Wörter in seinem Kopf — Blutspuren, Knochen — schienen zusammenhanglos.
    Nico, rief er sich in Erinnerung. Du denkst über Nico nach. Ganz gleich, was sie ihm erzählte, Duran hielt seine eigenen Gefühle fest unter Verschluss. Kein Grauen, kein Zweifel. Nur seine eigene hilfsbereite Neutralität, sein sachkundiges Verständnis und seine Sorge. Irgendetwas war ihr widerfahren, sagte er sich, und diese Geschichte, diese erfundene Geschichte - falls sie erfunden war - war für sie eine Möglichkeit, mit ihrer eigenen Dysfunktion umzugehen, ihrer eigenen Dissoziation. Sie hatte sie als Erklärung für ihre Probleme herangezogen, um zu funktionieren, und seine Aufgabe als Therapeut war es ...
    Aber er hatte den Briefkasten erreicht. Er schob das Päckchen durch den Schlitz, drehte sich um und ging wieder nach Hause. Zu­ mindest befahl er sich zu gehen — nur zu gehen. Aber nach wenigen Schritten begann sein Schritt, sich fast unmerklich zu beschleunigen. Als er schließlich das Gebäude erreichte, rannte er fast. Der Wachmann - heute war es der junge Bursche mit der Buddy-Holly-Brille - warf ihm einen seltsamen Blick zu, als er in die Lobby gefegt kam, aber dann erkannte er ihn und verlor das Interesse. Duran brachte ein Lächeln zu Stande. Eine lässige Begrüßung. Und dann trug ihn der Fahrstuhl zurück in sein sicheres Refugium.

3

                F ür jemanden, der kaum vor die Tür kam, war Jeff Duran sehr gut in Form.
    Zum einen lag es daran, weil er unbedingt in Form bleiben wollte, zum anderen daran, weil er in einem Gebäude lebte, in dessen oberstem Stockwerk ein Fitnessstudio lag. Da alle Bewohner der Towers das Studio kostenlos nutzen konnten, waren die Räumlichkeiten zu klein und die Geräte nicht ganz auf dem neuesten Stand. Aber es gab alles, was man brauchte, Laufbänder und Stepper und Hanteln und obendrein einen herrlichen Blick auf Georgetown und die National Cathedral.
    Duran kam jeden Morgen um halb sieben. Sein Körper war muskulös und geschmeidig, was einem harten Trainingsplan aus Stretching, Fahrradfahren, Jogging und Gewichtheben zu verdanken war. Sein Bauch war flach und hart, das Ergebnis eines quälenden Pensums von Sit-Ups und Crunches. An fünf Tagen pro Woche lief er sechs Meilen auf einem der Laufbänder vor den Fenstern mit Blick über die Stadt. Von diesem Aussichtspunkt konnte er die Türme der Georgetown University sehen und dahinter das geschwungene Band aus Licht - den Potomac.
    Die erste Meile lief er immer in einem Acht-Minuten-Tempo, um sich für die nächsten fünf aufzulockern, die er in 37 Minuten hinter sich brachte. Es war immer gleich. Nach

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