Gefaelschtes Gedaechtnis
albern, weil sie ein Mädchen ist.«
»Was hat sie an?«, fragte Duran.
»Einen schwarzen Smoking mit einer roten Nelke. Sie sieht so schön aus! Adrienne hat die Ringe.«
»Und wie ist Adrienne angezogen?«
»Sie ist gar nicht angezogen. Sie hat einen Blumenkranz im Haar, mehr nicht.«
»Und du gehst eine Art Gang hinunter?«
»Hm.«
»Gibt es Kerzen?«
»Ja. Kerzen und Gesang. Und dann steht der Pastor vor uns und fragt: >Nimmst du diesen Mann ... ?!<« Ihre Stimme erstarb, und sie schien die Konzentration zu verlieren.
Duran drängte sie. »Der Pastor fragt: >Nimmst du diesen Mann.<—und dann was? Wenn ich mich recht erinnere, war das dein Stichwort —«
»Stimmt«, sagte Nico.
»Das war dein Stichwort — wofür, was solltest du tun?«
»Mich hinknien.«
»Und?«
»Den Mund aufmachen.«
Nicos Unbehagen war jetzt greifbar, und Duran fürchtete, dass dieses Unbehagen in Hysterie übergehen könnte, wie es schon bei früheren Sitzungen geschehen war. Also nahm er einen Kurswechselvor. »Erzähl mir von Rosanna«, sagte er. »Wer ist sie?«
»Der Bräutigam.«
Duran winkte die Antwort beiseite, als würde er eine Fruchtfliege verscheuchen. »Richtig. In dem Film ist sie der Bräutigam. Aber wer war sie wirklich?«
»Meinst du außerhalb von dem Film?«
»Ja.«
»Sie war meine Schwester. Rosanna war meine große Schwester, und dann gibt es noch Adrienne. Adrienne ist meine kleine Schwester.«
»Verstehe ...«
»Weil, als ich zehn war, war Adrienne erst fünf. Deshalb war sie viel kleiner als ich.«
»Dann hast du also zwei Schwestern.«
Nico schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Bloß Adrienne. Rosanna hab ich nicht mehr.«
»Warum nicht?«
»Sie ist gestorben.«
»Oh ... das tut mir Leid«, entgegnete Duran und schwieg einen Augenblick. Dann: »Wie?«
»Wie was?«
»Wie ist sie gestorben?«
»Sie ist in dem Film gestorben!«, flüsterte Nico.
»Ach ja, stimmt«, sagte Duran. »Sie ist in dem Film gestorben!
Aber das war ja bloß ein Film.«
»Nein. Der war echt! «
»Was war echt?«
»Der Film!«
»Wie meinst du das?«
»Der war echt! Sie haben ihr die Haare nach hinten gezogen und —«
»Wer?«
»Ein Mann.«
»Welcher Mann?«
»Der Mann mit der roten Kapuze. Er hat eine Robe getragen, und die hatte eine Kapuze.«
»Eine Robe?«
»Alle haben eine Robe getragen — nur ich nicht. Und Rosanna. Adrienne und Deck.«
»Was hatte Deck an?«
Nico runzelte die Stirn in kindlicher Konzentration. Schließlich sagte sie: »Riemen.«
»Was?«
»Er sollte der Pastor sein — ein richtig wichtiger Pastor! Aber er war nicht angezogen wie ein Pastor.«
»Wie war er denn angezogen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Nico. »Er hatte bloß so Riemen an. Lederriemen. Und die Spinnweben.«
»Okay«, sagte Duran zu ihr, »aber ... du hast gesagt, sie haben Rosanna die Haare nach hinten gezogen.«
Nico nickte. »Ja.«
»Und ... als das passiert ist — wo war sie da?«
»Auf dem Boden.«
»Was hat sie gemacht?«
»Sie war bloß ... auf Händen und Knien.«
»Warum?«
»Weil die Sex gemacht haben! «
»Sie hatte Sex?«
Wieder Nicken.
»Mit wem?«, fragte Duran.
»Irgendwelchen Männern.«
»Aber ... sie war doch noch sehr jung?«
Nico zuckte die Achseln. »Zwölf.«
»Okay. Sie hatte Sex und dann — was?«
»Das hab ich dir doch schon gesagt. Der Mann mit der roten Kapuze hat ihr die Haare nach hinten gezogen ... «
»Und?«
»Er hat sie geschnitten.«
»Wo hat er sie geschnitten?«, fragte Duran.
Sie legte einen Finger an die Kehle. »Da ...«
»Und dann?«
Nico gab einen klagenden Ton von sich und drehte das Gesicht in die Kissen.
»Sieh nicht weg, Nico. Du musst dich dem stellen. Erzähl mir ein
fach, was passiert ist.«
»Rosannas Augen wurden ganz groß - sie hatte solche Angst! Weil das Blut aus ihr rausgeschäumt ist, und sie konnte nicht mal was sagen — sie hat bloß ein Geräusch gemacht —«
»Und wo warst du, als das passiert ist?«
»Bei Deck, unter ihm.«
»Okay, aber... wenn es bloß ein Film war — wenn es bloß gespielt war —«
Nico schüttelte heftig den Kopf. »Nein«, beharrte sie und stützte sich auf die Ellbogen, während ihre Stimme vor Panik laut wurde. »Es war nicht bloß gespielt. Es war echt. Es war wirklich echt! Deck hat den Film in einer besonderen Kiste aufbewahrt, mit einem Schloss dran. Und manchmal hat er mich gezwungen, ihn mit ihm zusammen anzusehen — aber ich konnte Rosanna nicht mehr sehen — bloß noch in dem
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