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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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dem Unterleib. Die Frau riß die Augen auf und sah dann abrupt zur Decke hoch, als hätte ihr jemand mit etwas Kaltem den Rücken hinuntergestrichen.
    Jakob und ich stützten einander auf dem Weg die gefährliche Treppe hinunter, am miesepetrigen Türsteher vorbei und hinaus in die düstere Domäne der Dezembernacht.
    Ich sah auf die Uhr, als wir auf den Bürgersteig hinaustraten. Es waren immer noch einige Stunden bis Mitternacht. Es war noch lang bis morgen. Morgen lag in einem anderen Land. Und ich konnte mich nicht mal erinnern, ob ich den Paß dabei hatte.

4
    Die Nacht war voller geplatzter Sterne. Sie fielen wie Filzstücke zur Erde, wurden zu Wasser und verschwanden unter unseren Füßen.
    Wir überquerten den Ole-Bulls-Platz, der für jeglichen Durchgangsverkehr gesperrt war. Mitten auf dem Platz stand ein Polizeiwagen im Leerlauf. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes schlichen ein paar dunkle Schatten an den Wänden entlang. Irgendwo weit weg tönte eine Autohupe, und von der anderen Seite des Byparks ertönte die Stimme eines gescheiterten Freiers: »Oh, oh, oh, oh, oooh, lonesome me-e …«
    Um Lille Lungegårdsvann herum lag Bergen und spiegelte sich in dem schwarzen Wasser, das in der Mitte eine graue Schicht dünner Eisschollen trug. An der Westseite des Wassers lagen Bergens Billedgalleri und die Stenersen-Sammlung mit ihrer modernistischen Fassade Wand an Wand mit dem Funktionalismus des Kunstvereins, dem prächtigen Historismus der Rasmus-Meyer-Sammlungen und der protzigen, sowjet-inspirierten Huldigung an Technik und Fortschritt von Bergens Elektrizitätswerk. Im Süden lag wie eine resolute Mutter die Bibliothek und wachte über das Ganze, und im Osten repräsentierten die charmanten Dachprofile der unordentlichen Kleinhausbebauung von Marken das ursprüngliche Bergen, eines der ältesten Wohngebiete der Stadt, während die Steven-Spielberg-Architektur der Sparebank von der humorvollen Bankkonjunktur der 1980er Jahre zeugte, und das aufstrebende Hochhaus, das das Rathaus sein sollte, von der zu allen Zeiten gleichen Ohnmacht der Lokalpolitiker: so fehl am Platze wie ein Wagner-Monument auf Troldhaugen.
    Wir folgten den Wegen um das Wasser, wo jeden Frühling das erste Sportabenteuer startete, jedes Jahr bei Gegenwind und Hagel, und wo alle Familien mit Kleinkindern Jahr für Jahr am 17. Mai ihre Runden gemacht haben, auf der Flucht vor heißen Würstchen, halbgeschmolzenem Eis, unaufgeblasenen Luftballons und Papptrompeten, die dir Beulen ins Trommelfell blasen, und auf der Suche nach Ablenkungsmanövern, wie der traditionellen Mini-Jollen-Regatta zwischen Enten und Möwen auf dem moorigen Wasser dort draußen.
    Jetzt waren weder Luftballonverkäufer noch Wurstesser zu sehen. Hinten unter ein paar gerupften Bäumen stand ein verlorenes Häufchen von Anteilhabern an einer gemeinsamen Flasche, die die Runde machte, von Hand zu Hand und von Mund zu Mund. Wir fühlten uns auch nicht viel besser, wie wir dort entlangstolperten.
    Ich sagte zu Jakob: »Da drüben, oben auf der Mauer, bin ich balanciert, in der neunten, zusammen mit einem Mädchen, das ich kannte, und wir taten, als seien wir in Paris und gingen an der Seine entlang.«
    Er sah sich skeptisch um. »Du mußt eine lebhafte Phantasie gehabt haben.«
    »Es war Frühling.«
    »Bist du hingekommen? Ich meine nach Paris?«
    »Ja klar. Im Sommer danach. Aber nicht mit ihr.«
    »Nicht mit ihr«, wiederholte er. Er war dabei, in eine depressive Phase hineinzurutschen. Ich konnte es an seinen Augen sehen.
    »Ich kann mich auch noch an ein Mal erinnern, als du irgendwo an einem See standst, Varg, aber da war’s verdammt noch mal nicht die Seine, von der du träumtest.«
    »Ach ja? Wo denn?«
    »Im Nygårdspark. Irgendein Mädchen hatte dich verlassen ….«
    »Originell.«
    »Und du standst da und starrtest ins Wasser, und einen Augenblick dachte ich verdammt noch mal echt, du wolltest springen.«
    »Gab’s denn nicht auch andere Mädchen? Ich meine – welche, die uns nicht verlassen hatten. Noch nicht?«
    »Doch.«
    »Na also. Und? Das war eine ausgezeichnete Pose, oder? Auf die Weise hatte man Chancen.«
    Er wackelte mit dem Kopf. »Wenn du meinst.« Dann drehte er sich abrupt zu mir um, packte mich am Jackenaufschlag und starrte mir gerade in die Augen. »Und warum hat sie mich dann verlassen?«
    »Sie? Wer?«
    »Du weißt genau, wen ich meine, Varg!«
    »Deine – Frau?«
    »Ja – hrr!« Er schubste mich weg, blieb stehen und sah

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